Bestattung op kölsch
Henning
zog das schwarze Jackett über sein weißes Hemd, blickte in den
Spiegel und seufzte. Er zog Jackett und Hemd wieder aus und griff zu
einem übergroßen Polyestershirt mit breiten Längsstreifen in
verschiedenen grellen Farben. So hatte sich Manni, sein Vater, das
schließlich gewünscht. Zwar war ihre Familie gar nicht ursprünglich
aus dem Rheinland, aber Manni hatte die typisch kölsche Mentalität
mit solch einer Leidenschaft verinnerlicht, dass niemand auf die Idee
gekommen wäre, in Wahrheit einen gebürtigen Westfalen vor sich zu
haben. Und da Manni also ein echter Jeck gewesen ist, immer gelacht
und die Menschen um ihn herum zum Lachen gebracht hat, weil er mit
Traurigkeit und Melancholie noch nie etwas anfangen konnte und weil
er immer feiern wollte, mit oder ohne Anlass, war es sein
ausdrücklicher Wunsch gewesen, dass auf seiner Beerdigung keine
Trauerminen zu sehen sein dürften und dass alle Anwesenden lachen
und feiern sollten. Und da Manni für seine Familie und seine vielen
Freunde immer ein liebevoller und herzlicher Begleiter war, war es
klar, dass keiner der Anwesenden ihm diesen Wunsch abschlagen würde.
Also
zog Henning sich das bunte Streifenshirt an, blickte erneut in den
Spiegel, seufzte noch tiefer, klemmte sich das schwarze Jackett unter
den Arm und machte sich auf den Weg zur Friedhofskapelle.
Dort
angekommen hatten sich die ersten Partygäste bereits versammelt. Das
Gitarrenduo, das Henning gebucht hatte, warf ihm immer wieder
fragende Blicke zu. Henning nickte ihnen zur Bestätigung zurück.
Ja. Mein Vater wollte WIRKLICH diese Lieder auf seiner Beerdigung
gespielt haben. Die Kapellenstühle füllten sich immer mehr mit bunt
gekleideten Verwandten und Bekannten, die allesamt ein breites
Grinsen aufgesetzt hatten, das eher an den Gesichtsausdruck
erinnerte, nachdem man in eine Zitrone gebissen hat. Einige machten
auch schon erste Ansätze auf ihrem Stuhl ein wenig zu schunkeln,
zogen dabei aber gleichzeitig verlegen ihre Köpfe ein. Als Tante
Leni die Kapelle betrat, säuselte sie ein zitterndes „Alaaf
zusammen“ in die Runde. Tante Leni kam aus der Uckermark. Sie hatte
mit Karneval vermutlich sogar noch weniger zu tun als Henning. Der
hatte das ja immerhin durch seinen Vater mitbekommen. Er konnte die
Leidenschaft seines Vaters zwar nie teilen, bewunderte seinen
Enthusiasmus und sein Engagement im Karnevalsverein aber durchaus.
Sein Vater hatte auch nie versucht, Henning den „Fastelovend“
näher zu bringen. Es kam vielleicht mal ein lustiger Spruch, wenn
Henning seine Jazzplatten hörte. So etwas wie: „Bat hürst dau
dann da für en Driss? Lech ma wat von de Höhner auf!“, aber
letztlich waren die grundverschiedenen Interessen und Charakter der
Beiden nie ein Hindernis und ihr Verhältnis war stets von Liebe und
Respekt geprägt.
Oh
nein, diese Erinnerungen machten Henning traurig. Schnell, er musste
was dagegen tun. Seinem Vater zu liebe. Er zwang sich zu einem
Lachen, klatschte ein zwei Mal in die Hände und fragte sich
gleichzeitig, was um Himmels Willen er da grade tue. Doch einige der
Anwesenden taten es ihm mit ebenso fehlender Überzeugung gleich.
Endlich betrat der Priester die Kapelle. Er nickte Henning kurz zu
und schritt mit rotem Kopf zum geschlossenen Sarg. Kurz warf er einen
entschuldigenden Blick Richtung Kreuz, dann begrüßte er die
Anwesenden im Stil einer Büttenrede. Und eines war von der ersten
Silbe an klar: Auch der Priester wusste mit Karneval und kölschem
Dialekt nicht unbedingt viel anzufangen.
„Lieve
Leut von Nah und Fern,
Wir
alle hatten de Manni Jern!“,
Die
Anwesenden lachten. Henning wusste bis dahin gar nicht, wie
einstudiert so ein Lachen klingen konnte. Er ließ den Blick über
die Gäste schweifen. Alle zwangen sich zu dem breitesten Grinsen,
das ihre Gesichtsmuskulatur hergab. Manche wedelten, einen Tanz
andeutend mit den Armen oder klopften sich auf die Oberschenkel.
Henning stellte sich vor, wie man gleich den Sarg in einer Polonaise
zu Grabe tragen würde und schüttelte sich. Hoffentlich deuteten die
Leute diese Geste als spontanen Ausbruch seiner Partylaune. Die Rede
des Priesters war zu Ende und das Gitarrenduo spielte die Melodie zu
„Mir losse de Dom in Kölle“. Zwei von Mannis ältesten Freunden
standen auf und sangen dazu „Mir vergroove den Manni in Kölle...!“
Henning
hatte die Musikauswahl natürlich mitgeplant und wusste daher, was
auf ihn zukommen würde. Der Text war sogar noch die Idee seines
Vaters selbst gewesen. Und trotzdem. Hier war für ihn eine Grenze
überschritten. Als das umgedichtete Lied zu Ende war, kündigte der
Priester an, dass Mannis Sohn nun gerne ein paar Worte sagen würde.
Henning
schritt nach vorne. Erst jetzt stellte er fest, dass er sich den
selben Eröffnungsreim wie der Priester notiert hatte. „Nah und
Fern – Manni Gern“. Deswegen und aus so vielen weiteren
Gründen, konnte er diese Rede nicht halten. Er legte den Zettel zur
Seite, erlöste sein Gesicht von dem aufgesetzten Lächeln und sagte:
„Mein Vater ist gestorben. Und das macht mich nicht fröhlich. Ich
finde es scheiße, dass mein Vater tot ist!“. Vereinzelt lachten
daraufhin ein paar der Gäste verunsichert.
„Der
Wunsch meines Vaters“, so fuhr Henning fort „dass wir hier
feiern, lachen und tanzen sollen, war egoistisch von ihm!“
Nun
lachte niemand mehr.
„Mein
Vater wollte nie, dass die Leute um ihn herum traurig sind. Das war
ihm immer unglaublich unangenehm. Aber dieser Tag hier ist eigentlich
nicht für ihn. Dieser Tag hier ist für uns.“
Er
versuchte gar nicht erst, die Tränen aufzuhalten, die nun seine
Augen füllten.
„Und
wir alle haben meinen Vater – Manni sehr geliebt. Wir alle haben
einen Verlust zu betrauern. Wir verdienen diese Trauer. Ich für
meinen Teil brauche diese Trauer. Ich will jetzt traurig sein
dürfen.“
Henning
ging zurück zu seinem Platz und knüpfte sein schwarzes Jackett über
das bunte Polyestershirt. Er drehte sich verlegen auf seinem Stuhl
um, um in die Gesichter der Anwesenden zu blicken. Er erwartete
vorwurfsvolle und wütende Blicke, doch er sah Erleichterung. Tante
Leni nahm das alberne Clownsmützchen von ihrem Kopf und wirkte so
gelöst, als hätte man sie so eben aus einem Pranger befreit.
Der
Rest der Bestattung lief nach weitestgehend klassischen Muster ab. Im
schweigenden Einvernehmen zwischen Henning und den Musikern,
verzichteten diese auf die abgesprochene Liederliste und spielten
eine Akustikversion von Pink Floyds „Wish you where here“. Viele
Menschen weinten, alle waren still und andächtig, als sie von ihrem
Familienmitglied und Freund Abschied nahmen.
Anschließend
versammelten sich alle in einem nahegelegenen Kaffee. Es dauerte
nicht lange, da erzählte Mannis bester Freund die Geschichte, wie
die beiden mit Mitte vierzig Hausverbot in einem Shoppingcenter
bekommen hatten, weil sie Gartenzwerge aus der Schaufensterdekoration
klauten und die Rolltreppe haben hochfahren lassen, so dass sie oben
alle übereinander fielen. Henning kannte diese Geschichte noch nicht
und musste laut lachen. Das war sein Vater. Immer mehr Anekdoten
wurden zum Besten gegeben. Immer mehr wurde gelacht, später auch
gesungen und getanzt. Ganz ehrlich und spontan. Manni wäre begeistert gewesen.
– Ende –
Vielen Dank fürs Lesen! Hier noch das passende Lied zur Story:
– Ende –
Vielen Dank fürs Lesen! Hier noch das passende Lied zur Story:
„Bestattung
op kölsch“ © 2018 Elisabeth Thömmes alias Ella Flick
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