Ein Kuss für Tante Monsternase
Ein Kuss für Tante Monsternase
Verwandschaftsbesuch bei Bente. Die ganze Woche schon und noch bis morgen. Die Oma ist da. Und Onkel Kalli ist auch da. Mit Thea. Die wohnt schon seit letztem Jahr bei Onkel Kalli und nächstes Jahr werden die beiden heiraten. Bente mag es, wenn Trubel im Haus ist. Oma hat Bente die letzten Tage ganz viel vorgelesen und sie haben gemeinsam Puzzles gelöst. Onkel Kalli hat Bente ganz viele Witze beigebracht und Thea hat mit Bente ganz viel fangen und verstecken gespielt. Schade, dass morgen alle schon wieder nach Hause fahren. Aber Bentes Papa hat versprochen, dass sie ganz bald auch mal mit Oma zusammen Kalli und Thea besuchen fahren. Das freut Bente.
Am Nachmittag stehen Mama und Papa und Kalli und Thea zusammen und reden komisches langweiliges Zeug und sehen aber dabei, das wundert Bente immer, gar nicht so aus, als würden sie sich langweilen. Sie gucken sogar so, als würde es ihnen Spaß machen.
„Blablabla Wertanlage“, sagen die, und „Blablabla Vorsorgeuntersuchung“.
Bente versteht nicht, warum die da stehen und langweilige Worte sagen, wenn sie doch stattdessen auf Bäume klettern könnten oder sich Burgen aus Stühlen und Decken bauen könnten.
Oma macht mit Bente noch ein Puzzle während die anderen Erwachsenen sich beim Erwachsene-Wörter-Sagen vergnügen. Plötzlich neigt sich Oma vor und sagt leiser als sonst zu Bente:
„Du Bente, weißt du noch, das letzte Mal als wir alle zu Besuch waren?“
Ja das wusste Bente noch. Da hat Kalli erzählt, dass er die Thea heiraten wird, und da durfte Bente Limo trinken und für die Erwachsenen gab es diese bittere Ekel-Limo, die die so gerne trinken.
„Da hast du dem Onkel Kalli und mir doch ein Abschiedsküsschen auf die Wange gegeben. Aber der Tante Thea nicht.“
Bente schaut Oma an. Oma spricht weiter:
„Die Tante Thea gehört doch jetzt auch zur Familie. Die freut sich, wenn sie auch ein Küsschen bekommt. Die wird doch bestimmt traurig, wenn sie als Einziges kein Küsschen bekommt. Gib ihr morgen doch auch ein Küsschen zum Abschied. Da freut sie sich!“ Dann streichelt die Oma Bente über die Haare, lächelt lieb und die beiden puzzeln weiter.
Bente denkt nach. War das gemein, der Thea kein Küsschen zu geben? Thea war noch gar nicht so oft da und auch wenn Thea sehr lieb und lustig ist, will Bente ihr eigentlich kein Küsschen geben. Bente weiß selber nicht, warum.
Später beim Abendessen sitzt Bente neben Thea. Thea riecht nach Parfüm. Das mag Bente nicht so, aber beim Spielen stört das nicht, aber will Bente vielleicht deswegen der Thea kein Küsschen geben? Und Thea hat ein Muttermal neben der Nase. Das sieht ein bisschen wie ein Sumpfmonster aus. Es hat auch zwei hellere Flecken, die ein bisschen wie böse Augen aussehen. Will Bente deswegen der Thea kein Küsschen geben? Eigentlich ist das Muttermal noch nie so sehr aufgefallen. Aber jetzt wo Bente die Thea so ansieht und überlegt, warum Thea noch kein Küsschen bekommen hat, schaut das Muttermal Bente wütend an. Bente bekommt ein bisschen Angst und guckt nicht mehr auf Thea, sondern lieber auf den Teller mit Kartoffelbrei und Erbsen.
Nach dem Essen braucht Bente etwas länger als sonst zum Einschlafen. Zu sehr kreisen die Gedanken um Thea, Oma, Muttermale und Kartoffelbrei. Aber irgendwann siegt dann doch die Müdigkeit und Bente schlummert ein.
Dann steht Bente plötzlich in einem finsteren Wald und hört ein Wimmern. Ist das Thea? Ja, das muss Thea sein. Bente folgt dem Schluchzen und steht bald darauf an einem großen Teich. In der Mitte eine kleine Insel, auf der Thea sitzt. Mit einem spitzen Hut, von dem ein Schleier herunterhängt und in einem schönen langen Kleid, wie die Burgfräuleins in Bentes Bilderbuch sie tragen. Thea sitzt da und weint ganz bitterlich.
„Hallo Tante Thea warum weinst du?“ ruft Bente über das Wasser
„Weil ich keinen Kuss bekomme“, antwortet die holde Maid schluchzend, „Ohne Kuss bin ich für ewiglicheriche Ewiglichkeiten gezwungen, auf dieser finstren bösen Insel zu verweilen, bis dass mich das sehr hohe Alter – zwanzig oder wie alt Greise auch immer so sind, dahinraffet, oh weh mir, ach bekäme ich doch nur ein kleines Küsselein. Oweh.“
„Oweh“, murmelt auch Bente. Einen Kuss will Bente der Thea eigentlich immer noch nicht geben. Aber Bente will auch nicht, dass Thea für immer traurig auf einer Insel gefangen ist. Also nimmt Bente allen Mut zusammen und ruft „OK, ich gebe dir ein Küsschen“,
„Oh Frohlockolore“, ruft Thea und wischt sich mit ihrem weiten Rüschenärmel die Tränen vom Gesicht, „So denn eile über die Brücke hinüber, mein tapferes Heldenkind!“
Eine schmale Holzbrücke erscheint untermalt von klingendem Feengebimmel über dem Wasser. Bente läuft auf die Brücke zu, will sie gerade überqueren, da breitet sich plötzlich der scheußliche Geruch von Gammelobst und Speicherkammer aus. Theas Parfüm. Das ist also das Wasser in dem kleinen See.
Bente wird ein bisschen übel und will nicht weiter gehen, denn der Geruch wird mit jedem Schritt schlimmer und schlimmer. Aber Thea weint noch bitterlicher, als sie Bente zögern sieht. Also nimmt Bente wieder allen Mut zusammen und kämpft sich Schritt für Schritt vorwärts Richtung trauriger Tante und kommt endlich bei ihr an.
„Ok Tante Thea, ich gebe dir jetzt diesen Kuss“ sagt Bente, schürzt die Lippen und nähert sich Theas Gesicht zögerlich.
„Juché juché“, ruft die Frau, doch dann stimmt eine zweite, dunklere, bedrohliche Stimme mit ein, die mit Thea im Chor ruft: „Gib mir einen Kuss!“
Bente zuckt zurück. Das böse Monstermuttermal hüpft von Theas Nase, wächst auf übermenschliche Größe und landet auf zwei dünnen Beinchen zwischen Bente und Thea. Thea fängt wieder an zu weinen und das Monstermal mit den bösen Augen streckt zwei dünne Ärmchen nach Bente aus und ruft aus seinem breiten Mund „Ich will einen Kuss! Gib mir einen Kuss!“
„Mamaaaa“, ruft Bente, dreht sich um und läuft über die Stinkeseebrücke zurück in den Wald. Das Monstermal humpelt, unsicher auf den dünnen Beinchen wankend, hinterher und ruft „Warum krieg ich keinen Kuss? Ich will einen Kuss!“
Bente will schneller laufen, aber es funktioniert einfach nicht. Und bald hat das Monster aufgeholt, greift Bentes Handgelenk und ruft mit so weit aufgerissenem Mund, der Bente mit einem Haps verschlucken könnte:
„Gib Kuuuuuuuss!“
„Neeeeeeeein!“ ruft Bente mit zusammengekniffenen Augen und haut Richtung bösem Muttermal. Aber die Schläge landen in der Luft. Als Bente die Augen aufmacht, ist das Monster weg. Ebenso der Wald und die weinende Burgfäuleins-Thea auch. Bente liegt im Bett. Nur ein Traum. Bente ist erleichtert, aber dann auch ein bisschen traurig, dass Traum-Thea jetzt immer auf der Parfüminsel gefangen ist, weil sie keinen Kuss bekommen hat.
Bald kommt Mama und holt Bente zum Frühstück. Thea sieht gar nicht traurig aus und das Muttermal neben ihrer Nase ist im Vergleich zu dem Monster aus dem Traum gar nicht mal so groß. Als alle gefrühstückt haben, sagt Onkel Kalli, dass sie jetzt nach Hause fahren müssen.
„Ich bin gleich wieder da“ ruft Bente und läuft ins Kinderzimmer, um sich für den großen Abschied vorzubereiten.
Onkel, Tante, Oma, Papa und Mama umarmen sich, sagen sich, wie schön die gemeinsame Zeit war, und wünschen den drei Heimreisenden eine gute und sichere Fahrt. Das fröhliche Abschiednehmen wird durch ein lautes
„Ich bin soweit!“, unterbrochen.
Alle drehen sich zur Tür. Dort steht Bente. In der selbstgebastelten Ritterrüstung, mit der roten Kuscheldecke als Umhang, einer Wäscheklammer auf der Nase und dem Holzschwert in der Hand. Den Blick auf Tante Thea gerichtet. „Ich bin nun bereit, dir ein Abschiedsküsschen zu geben!“
Die Erwachsenen schauen erst Bente an und tauschen dann untereinander irritierte Blicke aus. Vor allem Oma schaut verwirrt von rechts nach links, hebt die Hände und murmelt „Ja da, was? Also ich weiß auch nicht wie Bente auf sowas …, was?“
Dann fragt Tante Thea: „möchtest du mir denn einen Abschiedskuss geben?“
„Nein“, murmelte Bente und rief dann heldenhaft, „Aber ich tue es trotzdem, damit du dich freust!“
Oma scheint ein wenig zu schrumpfen. Thea seufzt: „Weißt du Bente, du musst nie Küsschen verteilen, wenn du das nicht willst. Ich freue mich über Küsschen, aber nur über die, die man mir auch geben möchte. Wenn nicht, freue ich mich ebenso über ein Winken.“
Da fällt Bente ein riesen Stein vom Herzen und die beiden winken sich fröhlich zum Abschied. Und noch nie zuvor hat so viel Liebe in einem Winken gesteckt.
Und das Nasenmalmonster? Das kehrte in Bentes Träume zurück. Aber nur, um als lieber Freund fröhlich mit Bente durch den schönen Wald zu hüpfen.
Ende
Entstanden für Folge 14 von Deis und Ella lesen Dinge vor.
Thema: Kindergeschichte
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