Zwei gute Menschen
Diese Geschichte habe ich beim 23. Münchner Kurzgeschichtenwettbewerb eingereicht. Aufgabe war es, sich mit dem Zitat „Nichts ist wahr, alles ist erlaubt“ von Friedrich Nietzsche auseinanderzusetzen (Aus „Also sprach Zarathustra“). Immerhin habe ich es mit der Geschichte in die zweite Runde geschafft, sie gehört also bei rund 1000 Einsendungen zu den 100 Besten, was mich sehr freut. Viel Spaß!
„Auf uns“, rief der eine Mann seinem Gegenüber zu und erhob sein Glas.
„Auf uns“, antwortete ihm dieser und erhob ebenfalls sein Glas.
„Und auf ein glänzendes Beispiel für Zivilcourage.“
Die beiden Männer stießen mit ihren Bieren an, nahmen einen großen Schluck und setzten die Gläser schwungvoll ab, ehe sie sich mit einem breiten Grinsen und einem genüsslichen „Aah“ für ihre Taten belohnten.
„Also wir hätten ja auch einfach weitergehen können.“, sagte der eine.
„Haben wir aber nicht gemacht.“, ergänzte der andere.
„Genau. Wir haben geholfen.“,
„Richtig, die anderen Menschen um uns herum haben nichts gemacht.“,
„Das stimmt. Außer vielleicht dumm geguckt.“.
Die beiden nickten sich selbst und ihrem jeweiligen Gegenüber Anerkennung zu und lachten zufrieden. Als die Biere geleert waren, trottete die Wirtin zu ihren Tisch und fragte mit grimmiger Stimme: „Noch was?“
„Was meinen Sie?“, fragte der eine Mann seinen Tischgesellen, „Wollen wir noch eine Runde?“,
„Ach, wissen Sie was?“, antwortete dieser mit stolz geschwollener Brust, „Warum nicht. Dieses Mal geht’s dann aber auf mich!“
Zur Wirtin gewandt sprach er weiter: „Also nochmal zwei kleine Bier bitte. Wissen Sie, es ist zwar noch sehr früh, das ist uns wohl klar, aber wir haben uns das heute wirklich verdient.“,
„Aha“, brummte die Wirtin, als sie sich die Bestellung notierte. Sie sprach dieses simple „Aha“ mit einer eigentlich unverkennbaren Endgültigkeit und einem lauten Desinteresse aus, was die beiden Männer aber gekonnt ignorierten.
„Jawohl“, pflichtete der andere Mann seinem Vorredner bei, „wir haben nämlich bis gerade eben eine Dame aus einer sehr misslichen Lage gerettet.“,
„Wir kannten uns bis vor ein paar Stunden gar nicht.“, warf der zweite Mann ein.
„Das stimmt, aber wir haben großartig zusammengearbeitet.“,
„Ja, das haben wir in der Tat.“
Abwechselnd erzählten die beiden nun von diesem außergewöhnlichen Sonntag Morgen. Sie ließen keine auschmückende Formulierung aus, die ihren Akt der Zivilcourage und der Selbstlosigkeit in hellstem Licht erstrahlen ließ. Auch das Wort „heldenhaft“ wurde von beiden Männern gebraucht, wenn natürlich auch nur, um die Taten ihres Gegenübers zu umschreiben.
Die Wirtin hörte den beiden Männern ungeduldig zu und warf ihrem Tresen zwischendurch immer mal wieder sehnsüchtige Seitenblicke zu. Als die Alltagshelden ihre Ausführungen beendet hatten, nickte sie leicht, mit durchaus aufrichtiger Anerkennung und ließ ein brummendes „Toll!“ vernehmen, ehe sie den Rückzug zu ihrem Tresen antrat.
Nach einem leicht enttäuschten Blick, den die beiden der Frau nachwarfen, von der sie sich doch eine größere Reaktion erhofft hatten, wandten sie sich wieder einander zu.
„Stellen Sie sich nur mal vor“, sprach der eine, „wie das Ganze ausgegangen wäre, wenn wir beide heute nicht dort gewesen wären!“,
„Oh ja, nicht auszumalen. Die arme Frau.“, pflichtete der zweite, dem ersten Mann bei, „Sonst war ja offensichtlich niemand bereit etwas zu unternehmen.“,
„Ja ja, in der Tat.“, sprach der andere und nickte, „Gott hat es an diesem Sonntag gut mit der Dame gemeint, als er ihren und unsere Wege sich kreuzen ließ.“
Der andere Mann lachte auf und erntete dafür sogleich einen fragenden und leicht gekränkten Blick seines offenbar gottesfürchtigen Gegenübers.
„Nun ja“, setzte der Lachende zu einer Rechtfertigung seiner Reaktion an, „Ich denke mal, metaphorisch gesehen ist es natürlich ganz schön, von der schützenden Hand eines Gottes oder eines Schutzengels oder sonst etwas zu sprechen. Aber ich will doch meinen, geholfen wurde der Frau heute immer noch von uns und nicht von einem übermenschlichen Mann im Himmel.“
Die Wirtin kam vorbei und stellte rasch die zwei Gläser vor ihren Gästen ab, ehe sie möglichst zügig wieder verschwand damit ihr weitere Heldenausführungen erspart bleiben würden. Die Männer waren jedoch ohnehin so sehr im Blick ihres jeweiligen Gegenübers vertieft, dass sie von der kurzen Anwesenheit der Frau kaum Notiz nahmen.
„Ich gehe demnach recht in der Annahme“, sagte der eine Mann skeptisch zu seinem spottenden Begleiter, „dass Sie Agnostiker sind?“,
„Ach, mitnichten!“, entgegnete dieser, „Agnostiker. Pah, das sind doch lediglich unentschlossene Angsthasen, die sich gerne mal eine Hintertür offen lassen. Nein, nein. Ich bin Atheist.“
„Soso“, erwiderte sein Gegenüber mit verschränkten Armen. Er versuchte einen möglichst überzeugenden Ausdruck von Toleranz in sein Gesicht zu zaubern, dieses Vorhaben blieb aber ohne Erfolg. Zumindest dem Drang sich zu bekreuzigen konnte er widerstehen.
„Also ich für meinen Teil“, erklärte er, „bin überzeugter Katholik. Ich habe Theologie studiert und bin seit zweiunddreißig Jahren aktiver Mitgestalter in meiner Pfarrgemeinde.“
Der Atheist lehnte sich ein Stück in seinem Stuhl zurück und kämpfte vergebens gegen das spöttische Grinsen, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete.
„Soso“, sagte er, „Nun ja, macht ja nichts.“
Dem Christen entging der ironische Unterton nicht und er funkelte sein Gegenüber wütend an.
„Nun wissen Sie, mein Herr“, erwiderte er im bemüht versöhnlichen Ton und mit zusammengepressten Kiefer, „hätte die Kirche nichts weiter zu bieten, als diese kindlich naive Vorstellung eines ‘übermenschlichen Mannes im Himmel‘, wie Sie es formulierten, dann wäre ich vermutlich ebenfalls skeptisch. Der Glaube und die Kirche haben jedoch sehr viel mehr zu bieten und gehen sehr viel tiefer.“
Der Atheist hob beide Hände wie zur Abwehr in die Höhe. „Ich wollte Sie in ihrem Glauben nicht kränken oder kritisieren. Wichtig ist doch nur, dass Sie und ich heute, als es darauf ankam bewiesen haben, dass wir gute Menschen sind.“,
„Sehr richtig!“, sagte der Gläubige und erhob sein Glas, „wenn auch unsere jeweiligen Motivationen vermutlich unterschiedliche waren.“
„Genau“, pflichtete der Nicht-Gläubige ihm bei, erhob seinerseits das Glas und sprach: „Und das schmälert den Wert ihres Handelns in meinen Augen so gut wie gar nicht!“
Er ließ sein Glas gegen das seines Gegenübers stoßen und trank einen großen Schluck.
Der Katholik aber verharrte in seiner Position und blickte seinen Trinkkumpanen stirnrunzelnd an.
„Sie meinen?“, fragte er.
„Wie?“, entgegnete der Atheist.
„Schmälert den Wert ihres Handelns“, wiederholte der Christ die Aussage des anderen.
„Na in meinen Augen ja eben nicht!“, verteidigte dieser sich leicht genervt
„Aber“, hakte der Christ nach, „wie könnte denn mein Glaube in irgendjemandes Augen den Wert meines Handelns schmälern?“,
„Ach, das war doch jetzt nur so gesagt.“,
„na, jetzt sagen Sie schon!“,
„Ach, lassen Sie doch gut sein!“,
„Dann sagen Sie jetzt aber“, forderte der Christ mit verschränkten Armen „dass Sie nicht glauben, dass meine Tat weniger gut war als die Ihre!“,
„Warum sollte ich das denn jetzt sagen?“,
„Na warum sollten Sie denn nicht? Es sei denn, Sie halten sich von uns beiden für den besseren Menschen.“,
„Das habe ich nie behauptet.“, protestierte der Atheist empört.
„Aber das denken Sie doch.“,
„Das behaupten jetzt aber Sie.“
Beide lehnten sich mit verschränkten Armen zurück und blickten sich aus zu Schlitzen verengten Augen an.
„War denn“, brach der Atheist das Schweigen, „Ihr Glaube heute Ihre Motivation, als Sie so beherzt in das Geschehen eingegriffen haben?“,
„Ja, das war er.“, antwortete der Katholik prompt, „Natürlich war er das.“,
„Also“, folgerte der Atheist. „haben Sie nicht gehandelt, weil Sie Empathie für die Frau verspürt haben, sondern weil die Regeln Ihrer Religion Ihnen das Eingreifen als Akt der Nächstenliebe vorschreibt.“,
„Ach so ein Unsinn.“, rief der Christ und richtete sich in seinem Stuhl auf, „und selbst wenn, was wäre denn daran so verkehrt?“
„Ich meine ja nur.“, erklärte sich der Atheist mit erhobenen Händen, „Ich glaube ja nun einmal nicht an Gott und Religion. Dementsprechend schreibt mir auch keine Religion irgendwelche Nächstenliebe vor. Wenn ich also jemandem in Not helfe, so wie heute, dann eben einzig und alleine, weil ich es für richtig halte. Ohne, dass ich denke, mir würde dafür als Belohnung ein himmlisches Reich beschert, sondern einfach, weil es für mich eben selbstverständlich ist.“,
„Also halten Sie sich doch für den besseren Menschen von uns beiden.“, rief der Christ und deutete anklagend auf sein Gegenüber“,
„Ach hören Sie doch auf!“,
„Aber es ist doch so.“,
„Jetzt lassen Sie doch …“,
„Na sagen Sie’s doch einfach!“,
„Also gut. Ja!“, rief der Religionslose.
„Aha!“, donnerte der Gläubige und erhob seinen eben noch auf sein Gegenüber gerichteten Finger triumphierend in die Höhe. „Wusste ich es doch. Sie und ich haben heute genau das Gleiche getan, Sie empfinden Ihr Handeln aber als besser als Meines. Wissen Sie, wie ich das nenne?“,
„Na, wie nennen Sie das denn?“, knurrte der Atheist und rollte mit den Augen
„Soll ich’s Ihnen sagen?“, fragte der Christ drohend
„Nun dann sagen Sie’s halt!“,
„Arrogant nenne ich das.“, polterte der Gläubige und schlug zur Bekräftigung seiner Worte mit der Faust auf den Tisch.
„Ach“, rief der Atheist aus, „und Sie halten sich etwa nicht für den besseren Menschen von uns beiden? Denken Sie etwa nicht, dass Sie mir aufgrund Ihrer Religiosität moralisch überlegen sind? Und bevor Sie jetzt antworten, denken Sie dran:“, er hob einen Finger mahnend in die die Höhe, machte ein überspielt strenges Gesicht und fuhr mit gekünstelt tiefer Stimme fort: „Du sollst nicht lügen!“
Er erhielt als Antwort lediglich einen vernichtenden Blick.
„Na dachte ich es mir doch.“, lachte der Atheist, drehte sich auf seinem Stuhl leicht zur Seite, verschränkte die Arme und fuhr fort: „Es ist ja so. Wenn ein Christ sein Leben lang die Regeln befolgt, die ihm gepredigt werden, tut er viel Gutes, keine Frage. Ich frage mich aber, wofür ein wirklich guter Mensch so viele Regeln braucht. Sehen Sie, ich habe diese Regeln nicht. Mir wäre in der Hinsicht ja im Prinzip alles erlaubt, da es aus spiritueller Sicht für mich keine Rolle spielt. Und jemand, dem im Bezug auf Religion, Nächstenliebe und dem ganzen Kram alles erlaubt ist und der trotzdem Gutes tut, der ist der wahre gute Mensch. Denn dieser Mensch handelt aus tiefster Überzeugung für die Sache selbst.“
Zufrieden lächelte er und belohnte sich für seine Argumentation mit einem großen Schluck Bier.
Lauernd beobachtete der Christ sein Gegenüber beim Trinken.
„Nun, wissen Sie“, sagte er schließlich mit beherrscht ruhiger Stimme, „Sie haben in einer Hinsicht recht: Es war für mich heute morgen nicht selbstverständlich einzugreifen. Es war eine Überwindung. Ich habe deswegen den Gottesdienst verpasst. Ich trage meine besten Schuhe und meinen besten Anzug, beides kann ich nun wegwerfen, diese Flecken werde ich nicht mehr rausbekommen. Ich hatte auch heute Morgen sowieso bereits Muskelkater und ich bin kein sonderlich starker Mann. Ich fürchte mich vor Gefahren und ich fürchte mich vor Schmerzen. Ja mein Herr, ich wollte nicht helfen. Ich wollte liebend gerne einfach weitergehen. Mich raushalten.“, seine Stimme nahm an Leidenschaft und Lautstärke mit jedem Wort zu, „Habe ich aber nicht! Ich habe gehandelt. Und dabei hat mein Glaube mir geholfen. Und das soll mich zu einem weniger guten Menschen machen? Das ist ja toll, dass es für Sie so selbstverständlich war, zu handeln. Ich habe mich überwinden müssen. Ich habe erst meine inneren Dämonen bekämpft und gegen meinen Instinkt gehandelt. Und zu tun, was man nicht tun möchte, was man aber dennoch tut, weil man gelernt hat, dass es das Richtige ist. Das zeichnet einen guten Menschen aus. Ich habe von uns beiden so gesehen heute das größere Opfer erbracht.“
„Also denken Sie…“,
„Ja! Also denke ich, dass ich, und nicht Sie von uns beiden der bessere Mensch bin.“,
„Pah!“,
„Ja!“,
„Die Hexenverbrenner haben sicher auch gedacht, dass sie unglaublich gute Menschen sind, als sie im Namen der Kirche Unschuldige grausam ermordet haben.“, rief der Atheist und schlug mit der Faust auf den Tisch
„und mordende Atheisten sind einfach nur mit sich selbst im Reinen, weil die laut Ihnen ja eh alles dürfen.“, rief der Christ und schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch.
Der Atheist schnaubte empört. „Sie Wortverdreher!“,
„Sie überheblicher Antichrist!“,
„Sie irrgläubiger Fanatiker!“,
„SIE ARSCHLOCH!“
Mit angehaltenem Atem lehnten sich beide Männer zurück und blickten sich düster an, auf die nächste Reaktion des jeweiligen Gegenübers lauernd.
Es war die Wirtin, die diese Spannung letztlich unterbrach, als sie die inzwischen leeren Gläser an sich nahm und „Kann ich dann jetzt mal abkassieren?“, donnerte.
Als wäre der Gong nach einer Boxrunde ertönt entspannten sich die beiden Männer und zahlten ihre Schulden.
„Nur mal so ’ne Frage“, brummte die Wirtin, „Haben Sie eigentlich auch schonmal was Gutes gemacht, ohne, dass sofort die ganze Welt davon erfahren musste?“
Ohne eine Antwort abzuwarten kehrte sie kopfschüttelnd zu ihrem Tresen zurück.
Die beiden Männer blickten der Frau noch einige Sekunden nach, bis sie ihre Blicke wieder einander zuwandten.
„Nun ja“, sagte der eine, „Bescheidenheit ist wohl wirklich von keinem von uns beiden eine große Stärke.“,
„Da ist wohl was dran.“, gab der andere zu, „Aber wissen Sie was? Eine gute Tat bleibt eine gute Tat.“
Und so gaben sich schließlich zwei gute Menschen die Hand und gingen ihrer Wege.
–Ende–
Vielen Dank fürs Lesen! Hier ein passender Song
„Auf uns“, rief der eine Mann seinem Gegenüber zu und erhob sein Glas.
„Auf uns“, antwortete ihm dieser und erhob ebenfalls sein Glas.
„Und auf ein glänzendes Beispiel für Zivilcourage.“
Die beiden Männer stießen mit ihren Bieren an, nahmen einen großen Schluck und setzten die Gläser schwungvoll ab, ehe sie sich mit einem breiten Grinsen und einem genüsslichen „Aah“ für ihre Taten belohnten.
„Also wir hätten ja auch einfach weitergehen können.“, sagte der eine.
„Haben wir aber nicht gemacht.“, ergänzte der andere.
„Genau. Wir haben geholfen.“,
„Richtig, die anderen Menschen um uns herum haben nichts gemacht.“,
„Das stimmt. Außer vielleicht dumm geguckt.“.
Die beiden nickten sich selbst und ihrem jeweiligen Gegenüber Anerkennung zu und lachten zufrieden. Als die Biere geleert waren, trottete die Wirtin zu ihren Tisch und fragte mit grimmiger Stimme: „Noch was?“
„Was meinen Sie?“, fragte der eine Mann seinen Tischgesellen, „Wollen wir noch eine Runde?“,
„Ach, wissen Sie was?“, antwortete dieser mit stolz geschwollener Brust, „Warum nicht. Dieses Mal geht’s dann aber auf mich!“
Zur Wirtin gewandt sprach er weiter: „Also nochmal zwei kleine Bier bitte. Wissen Sie, es ist zwar noch sehr früh, das ist uns wohl klar, aber wir haben uns das heute wirklich verdient.“,
„Aha“, brummte die Wirtin, als sie sich die Bestellung notierte. Sie sprach dieses simple „Aha“ mit einer eigentlich unverkennbaren Endgültigkeit und einem lauten Desinteresse aus, was die beiden Männer aber gekonnt ignorierten.
„Jawohl“, pflichtete der andere Mann seinem Vorredner bei, „wir haben nämlich bis gerade eben eine Dame aus einer sehr misslichen Lage gerettet.“,
„Wir kannten uns bis vor ein paar Stunden gar nicht.“, warf der zweite Mann ein.
„Das stimmt, aber wir haben großartig zusammengearbeitet.“,
„Ja, das haben wir in der Tat.“
Abwechselnd erzählten die beiden nun von diesem außergewöhnlichen Sonntag Morgen. Sie ließen keine auschmückende Formulierung aus, die ihren Akt der Zivilcourage und der Selbstlosigkeit in hellstem Licht erstrahlen ließ. Auch das Wort „heldenhaft“ wurde von beiden Männern gebraucht, wenn natürlich auch nur, um die Taten ihres Gegenübers zu umschreiben.
Die Wirtin hörte den beiden Männern ungeduldig zu und warf ihrem Tresen zwischendurch immer mal wieder sehnsüchtige Seitenblicke zu. Als die Alltagshelden ihre Ausführungen beendet hatten, nickte sie leicht, mit durchaus aufrichtiger Anerkennung und ließ ein brummendes „Toll!“ vernehmen, ehe sie den Rückzug zu ihrem Tresen antrat.
Nach einem leicht enttäuschten Blick, den die beiden der Frau nachwarfen, von der sie sich doch eine größere Reaktion erhofft hatten, wandten sie sich wieder einander zu.
„Stellen Sie sich nur mal vor“, sprach der eine, „wie das Ganze ausgegangen wäre, wenn wir beide heute nicht dort gewesen wären!“,
„Oh ja, nicht auszumalen. Die arme Frau.“, pflichtete der zweite, dem ersten Mann bei, „Sonst war ja offensichtlich niemand bereit etwas zu unternehmen.“,
„Ja ja, in der Tat.“, sprach der andere und nickte, „Gott hat es an diesem Sonntag gut mit der Dame gemeint, als er ihren und unsere Wege sich kreuzen ließ.“
Der andere Mann lachte auf und erntete dafür sogleich einen fragenden und leicht gekränkten Blick seines offenbar gottesfürchtigen Gegenübers.
„Nun ja“, setzte der Lachende zu einer Rechtfertigung seiner Reaktion an, „Ich denke mal, metaphorisch gesehen ist es natürlich ganz schön, von der schützenden Hand eines Gottes oder eines Schutzengels oder sonst etwas zu sprechen. Aber ich will doch meinen, geholfen wurde der Frau heute immer noch von uns und nicht von einem übermenschlichen Mann im Himmel.“
Die Wirtin kam vorbei und stellte rasch die zwei Gläser vor ihren Gästen ab, ehe sie möglichst zügig wieder verschwand damit ihr weitere Heldenausführungen erspart bleiben würden. Die Männer waren jedoch ohnehin so sehr im Blick ihres jeweiligen Gegenübers vertieft, dass sie von der kurzen Anwesenheit der Frau kaum Notiz nahmen.
„Ich gehe demnach recht in der Annahme“, sagte der eine Mann skeptisch zu seinem spottenden Begleiter, „dass Sie Agnostiker sind?“,
„Ach, mitnichten!“, entgegnete dieser, „Agnostiker. Pah, das sind doch lediglich unentschlossene Angsthasen, die sich gerne mal eine Hintertür offen lassen. Nein, nein. Ich bin Atheist.“
„Soso“, erwiderte sein Gegenüber mit verschränkten Armen. Er versuchte einen möglichst überzeugenden Ausdruck von Toleranz in sein Gesicht zu zaubern, dieses Vorhaben blieb aber ohne Erfolg. Zumindest dem Drang sich zu bekreuzigen konnte er widerstehen.
„Also ich für meinen Teil“, erklärte er, „bin überzeugter Katholik. Ich habe Theologie studiert und bin seit zweiunddreißig Jahren aktiver Mitgestalter in meiner Pfarrgemeinde.“
Der Atheist lehnte sich ein Stück in seinem Stuhl zurück und kämpfte vergebens gegen das spöttische Grinsen, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete.
„Soso“, sagte er, „Nun ja, macht ja nichts.“
Dem Christen entging der ironische Unterton nicht und er funkelte sein Gegenüber wütend an.
„Nun wissen Sie, mein Herr“, erwiderte er im bemüht versöhnlichen Ton und mit zusammengepressten Kiefer, „hätte die Kirche nichts weiter zu bieten, als diese kindlich naive Vorstellung eines ‘übermenschlichen Mannes im Himmel‘, wie Sie es formulierten, dann wäre ich vermutlich ebenfalls skeptisch. Der Glaube und die Kirche haben jedoch sehr viel mehr zu bieten und gehen sehr viel tiefer.“
Der Atheist hob beide Hände wie zur Abwehr in die Höhe. „Ich wollte Sie in ihrem Glauben nicht kränken oder kritisieren. Wichtig ist doch nur, dass Sie und ich heute, als es darauf ankam bewiesen haben, dass wir gute Menschen sind.“,
„Sehr richtig!“, sagte der Gläubige und erhob sein Glas, „wenn auch unsere jeweiligen Motivationen vermutlich unterschiedliche waren.“
„Genau“, pflichtete der Nicht-Gläubige ihm bei, erhob seinerseits das Glas und sprach: „Und das schmälert den Wert ihres Handelns in meinen Augen so gut wie gar nicht!“
Er ließ sein Glas gegen das seines Gegenübers stoßen und trank einen großen Schluck.
Der Katholik aber verharrte in seiner Position und blickte seinen Trinkkumpanen stirnrunzelnd an.
„Sie meinen?“, fragte er.
„Wie?“, entgegnete der Atheist.
„Schmälert den Wert ihres Handelns“, wiederholte der Christ die Aussage des anderen.
„Na in meinen Augen ja eben nicht!“, verteidigte dieser sich leicht genervt
„Aber“, hakte der Christ nach, „wie könnte denn mein Glaube in irgendjemandes Augen den Wert meines Handelns schmälern?“,
„Ach, das war doch jetzt nur so gesagt.“,
„na, jetzt sagen Sie schon!“,
„Ach, lassen Sie doch gut sein!“,
„Dann sagen Sie jetzt aber“, forderte der Christ mit verschränkten Armen „dass Sie nicht glauben, dass meine Tat weniger gut war als die Ihre!“,
„Warum sollte ich das denn jetzt sagen?“,
„Na warum sollten Sie denn nicht? Es sei denn, Sie halten sich von uns beiden für den besseren Menschen.“,
„Das habe ich nie behauptet.“, protestierte der Atheist empört.
„Aber das denken Sie doch.“,
„Das behaupten jetzt aber Sie.“
Beide lehnten sich mit verschränkten Armen zurück und blickten sich aus zu Schlitzen verengten Augen an.
„War denn“, brach der Atheist das Schweigen, „Ihr Glaube heute Ihre Motivation, als Sie so beherzt in das Geschehen eingegriffen haben?“,
„Ja, das war er.“, antwortete der Katholik prompt, „Natürlich war er das.“,
„Also“, folgerte der Atheist. „haben Sie nicht gehandelt, weil Sie Empathie für die Frau verspürt haben, sondern weil die Regeln Ihrer Religion Ihnen das Eingreifen als Akt der Nächstenliebe vorschreibt.“,
„Ach so ein Unsinn.“, rief der Christ und richtete sich in seinem Stuhl auf, „und selbst wenn, was wäre denn daran so verkehrt?“
„Ich meine ja nur.“, erklärte sich der Atheist mit erhobenen Händen, „Ich glaube ja nun einmal nicht an Gott und Religion. Dementsprechend schreibt mir auch keine Religion irgendwelche Nächstenliebe vor. Wenn ich also jemandem in Not helfe, so wie heute, dann eben einzig und alleine, weil ich es für richtig halte. Ohne, dass ich denke, mir würde dafür als Belohnung ein himmlisches Reich beschert, sondern einfach, weil es für mich eben selbstverständlich ist.“,
„Also halten Sie sich doch für den besseren Menschen von uns beiden.“, rief der Christ und deutete anklagend auf sein Gegenüber“,
„Ach hören Sie doch auf!“,
„Aber es ist doch so.“,
„Jetzt lassen Sie doch …“,
„Na sagen Sie’s doch einfach!“,
„Also gut. Ja!“, rief der Religionslose.
„Aha!“, donnerte der Gläubige und erhob seinen eben noch auf sein Gegenüber gerichteten Finger triumphierend in die Höhe. „Wusste ich es doch. Sie und ich haben heute genau das Gleiche getan, Sie empfinden Ihr Handeln aber als besser als Meines. Wissen Sie, wie ich das nenne?“,
„Na, wie nennen Sie das denn?“, knurrte der Atheist und rollte mit den Augen
„Soll ich’s Ihnen sagen?“, fragte der Christ drohend
„Nun dann sagen Sie’s halt!“,
„Arrogant nenne ich das.“, polterte der Gläubige und schlug zur Bekräftigung seiner Worte mit der Faust auf den Tisch.
„Ach“, rief der Atheist aus, „und Sie halten sich etwa nicht für den besseren Menschen von uns beiden? Denken Sie etwa nicht, dass Sie mir aufgrund Ihrer Religiosität moralisch überlegen sind? Und bevor Sie jetzt antworten, denken Sie dran:“, er hob einen Finger mahnend in die die Höhe, machte ein überspielt strenges Gesicht und fuhr mit gekünstelt tiefer Stimme fort: „Du sollst nicht lügen!“
Er erhielt als Antwort lediglich einen vernichtenden Blick.
„Na dachte ich es mir doch.“, lachte der Atheist, drehte sich auf seinem Stuhl leicht zur Seite, verschränkte die Arme und fuhr fort: „Es ist ja so. Wenn ein Christ sein Leben lang die Regeln befolgt, die ihm gepredigt werden, tut er viel Gutes, keine Frage. Ich frage mich aber, wofür ein wirklich guter Mensch so viele Regeln braucht. Sehen Sie, ich habe diese Regeln nicht. Mir wäre in der Hinsicht ja im Prinzip alles erlaubt, da es aus spiritueller Sicht für mich keine Rolle spielt. Und jemand, dem im Bezug auf Religion, Nächstenliebe und dem ganzen Kram alles erlaubt ist und der trotzdem Gutes tut, der ist der wahre gute Mensch. Denn dieser Mensch handelt aus tiefster Überzeugung für die Sache selbst.“
Zufrieden lächelte er und belohnte sich für seine Argumentation mit einem großen Schluck Bier.
Lauernd beobachtete der Christ sein Gegenüber beim Trinken.
„Nun, wissen Sie“, sagte er schließlich mit beherrscht ruhiger Stimme, „Sie haben in einer Hinsicht recht: Es war für mich heute morgen nicht selbstverständlich einzugreifen. Es war eine Überwindung. Ich habe deswegen den Gottesdienst verpasst. Ich trage meine besten Schuhe und meinen besten Anzug, beides kann ich nun wegwerfen, diese Flecken werde ich nicht mehr rausbekommen. Ich hatte auch heute Morgen sowieso bereits Muskelkater und ich bin kein sonderlich starker Mann. Ich fürchte mich vor Gefahren und ich fürchte mich vor Schmerzen. Ja mein Herr, ich wollte nicht helfen. Ich wollte liebend gerne einfach weitergehen. Mich raushalten.“, seine Stimme nahm an Leidenschaft und Lautstärke mit jedem Wort zu, „Habe ich aber nicht! Ich habe gehandelt. Und dabei hat mein Glaube mir geholfen. Und das soll mich zu einem weniger guten Menschen machen? Das ist ja toll, dass es für Sie so selbstverständlich war, zu handeln. Ich habe mich überwinden müssen. Ich habe erst meine inneren Dämonen bekämpft und gegen meinen Instinkt gehandelt. Und zu tun, was man nicht tun möchte, was man aber dennoch tut, weil man gelernt hat, dass es das Richtige ist. Das zeichnet einen guten Menschen aus. Ich habe von uns beiden so gesehen heute das größere Opfer erbracht.“
„Also denken Sie…“,
„Ja! Also denke ich, dass ich, und nicht Sie von uns beiden der bessere Mensch bin.“,
„Pah!“,
„Ja!“,
„Die Hexenverbrenner haben sicher auch gedacht, dass sie unglaublich gute Menschen sind, als sie im Namen der Kirche Unschuldige grausam ermordet haben.“, rief der Atheist und schlug mit der Faust auf den Tisch
„und mordende Atheisten sind einfach nur mit sich selbst im Reinen, weil die laut Ihnen ja eh alles dürfen.“, rief der Christ und schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch.
Der Atheist schnaubte empört. „Sie Wortverdreher!“,
„Sie überheblicher Antichrist!“,
„Sie irrgläubiger Fanatiker!“,
„SIE ARSCHLOCH!“
Mit angehaltenem Atem lehnten sich beide Männer zurück und blickten sich düster an, auf die nächste Reaktion des jeweiligen Gegenübers lauernd.
Es war die Wirtin, die diese Spannung letztlich unterbrach, als sie die inzwischen leeren Gläser an sich nahm und „Kann ich dann jetzt mal abkassieren?“, donnerte.
Als wäre der Gong nach einer Boxrunde ertönt entspannten sich die beiden Männer und zahlten ihre Schulden.
„Nur mal so ’ne Frage“, brummte die Wirtin, „Haben Sie eigentlich auch schonmal was Gutes gemacht, ohne, dass sofort die ganze Welt davon erfahren musste?“
Ohne eine Antwort abzuwarten kehrte sie kopfschüttelnd zu ihrem Tresen zurück.
Die beiden Männer blickten der Frau noch einige Sekunden nach, bis sie ihre Blicke wieder einander zuwandten.
„Nun ja“, sagte der eine, „Bescheidenheit ist wohl wirklich von keinem von uns beiden eine große Stärke.“,
„Da ist wohl was dran.“, gab der andere zu, „Aber wissen Sie was? Eine gute Tat bleibt eine gute Tat.“
Und so gaben sich schließlich zwei gute Menschen die Hand und gingen ihrer Wege.
–Ende–
Vielen Dank fürs Lesen! Hier ein passender Song
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