Der egalste Mann der Welt


Stefan saß auf dem Klo, als es geschah. In dem Moment, als er für seine körperlichen Anstrengungen mit dem erleichternden Absondern einer Fäkalwurst von respekteinflössender Größe belohnt wurde, spürte er dieses eigenartige Kribbeln am ganzen Körper. Das kleine Badezimmer löste sich in grellem Licht auf und Pfeifen und Rauschen übertönte die eben noch vernehmbaren Alltagsgeräusche. Stefan war sicher, dass er soeben gestorben sein musste, wie seien diese Ungewöhnlichkeiten sonst zu erklären? Ein wenig enttäuscht war er, dass das Vorbeiziehen des eigenen Lebens in Bildern, von dem er im Vorfeld öfter gehört hatte, nicht statt fand. Andererseits hatte er das ja alles schon gesehen und die Dinge, die ihm nicht in Erinnerung geblieben waren, hatten dies wohl bestimmt auch nicht verdient. Aber die Tatsache, dass er mit seinen gerade mal Ende dreißig schon gehen sollte, nervte ihn schon. Sein Leben war vielleicht nicht das Aufregendste, aber im Großen und Ganzen war er recht gerne lebendig gewesen. Jetzt zu sterben erschien ihm nicht ganz fair.
Daher war es natürlich erstmal eine Erleichterung als er feststellte, dass das Pfeifen verstummte und sich aus dem grellen Licht um ihn herum langsam wieder irdische Räumlichkeiten zu materialisieren schienen, was ihn überzeugte, dass dies wohl doch noch nicht sein Ende war. Nach einigen Sekunden fand er sich auf einem Hocker wieder, umringt von großen, noch schwach glimmenden Leuchtringen, die, sowie das Licht ganz erloschen war, in eine sich öffnende Bodenvertiefung herabfuhren, so dass Stefan nun der Blick auf den Rest seines neuen Standortes ermöglicht wurde. Der Hocker befand sich in der Mitte eines weiß gekachelten Raums. Um Stefan standen einige Frauen und Männer in weißen Kitteln und getönten Schutzbrillen. Sie waren allesamt geradezu lächerlich attraktiv und makellos.
Eine Frau löste sich aus der Gruppe der überschönen Menschen, zog die Schutzbrille ab und näherte sich dem doch nicht Verstorbenen.
„Stefan Schmitt?“, fragte sie
„Öhm… ja?“, entgegnete dieser und wurde sich in diesem Moment der Tatsache bewusst, dass er immernoch mit heruntergelassener Hose dort saß. Er korrigierte diesen Missstand umgehend, wobei er sich bemühte die Tatsache zu ignorieren, dass ihm durch den abrupten Ortswechsel keine Zeit zum Abwischen geblieben war. „Mist, in spätestens ’ner halben Stunde wird’s jucken“, dachte er sich, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der bildschönen Person vor ihm widmete. Diese blickte ausdruckslos auf ihr Klemmbrett und las laut vor: „Stefan Schmitt, 38 Jahre, ledig, geboren, aufgewachsen und wohnhaft in Haßloch, Rheinland Pflalz, Büroarbeiter in Vollzeitbeschäftigung“,
„Öhm… ja? Öhm… nein, nicht so wirklich ledig, ich…“,
„Achso ja richtig, hier steht es ja: unverheiratet, kinderlos, in einer langjährigen Partnerschaft mit einer gewissen Erika Müller. Nun, Herr Schmitt, Ihre Partnerin hätte sich acht Tage nach Ihrem Verschwinden ohnehin von Ihnen getrennt. Ihr missfiel das Defizit an Spannung und Leidenschaft in der Beziehung.“,
„Öhm…“,
„Herr Schmitt, wir haben Sie für unser Programm 'Menschheitserhalt 2.0' ausgewählt. Sie haben die einmalige Ehre, das Aussterben ihrer eigenen Spezies zu verhindern. Wir hoffen daher sehr, dass Sie bereit sind zu kooperieren.“
„Öhm…“, erwiderte Stefan und wand sich unbehaglich auf seinem Hocker, nicht bedenkend, was sich dadurch in seiner Hose noch weiter verteilte.
„Öhm …“, wiederholte er, „wo, öhm, bin ich eigentlich?“,
„Die Frage ist nicht 'wo', sondern 'wann'!“, meldete sich einer der übrigen Makellosen geheimnisvoll zu Wort und zuckte sogleich unter dem erbosten Blick der vorherigen Wortführerin zusammen. „Professor Korkimaktus, wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass es eben jene Zeitreisephrasen sind, die dem seriösen Image unseres Instituts schaden. Letzte Verwarnung!“, zischte sie den Mann an, ehe sie sich wieder Stefan zuwandte: „Wobei der Kollege durchaus recht hat. Das wäre in der Tat die sowohl interessantere, als auch die für diese Unterhaltung zielführendere Frage. Sie befinden sich in der Zeitmaschine des Fraunhoferinstitus im Jahre 2571 n.H.“,
„öhm … n. H.?“,
„Nach Hawking. Unterbrechen Sie mich nicht, Herr Schmitt! Die Menschheit hat sich seit Ihrer Zeit stark weiterentwickelt. Die letzte große Errungenschaft ist eine neue Energiequelle, mit der wir in der Lage sind all unsere Alltagstechnologie ganz ohne Kabel zu betreiben.“,
„Öhm… Also.. sowas wie W-Lan-Strom?“,
„Ja Herr Schmitt, das ist für ihr begrenztes Maß an Intelligenz vermutlich die nachvollziehbarste Formulierung, also belassen wir es dabei. Also, wie dem auch sei, es war ein großartiger Erfolg, der das Leben erheblich vereinfacht hat, allerdings hatte dies den bedauerlichen Effekt, dass alle Mitmenschen, die bis dato biologisch zur Samenproduktion fähig waren, eben jene Fähigkeit binnen Sekunden nach Freisetzung der erforderlichen 'W-Lan-Strom-Strahlung' verloren haben. Leider wurden auch eingelagerte Samenvorräte unbrauchbar. Der Schaden ist irreparabel.“
„Oh“, sagte Stefan,
„'oh' trifft es recht gut, Herr Schmitt. Wir konnten die schädliche Nebenwirkung der Strahlung inzwischen beseitigen, Ihre Reproduktionsfähigkeit ist dementsprechend nicht gefährdet. Wir hoffen nun auf Ihre Unterstützung um das Aussterben der Menschheit zu verhindern.“,
„Öhm… ok … Also… warum jetzt eigentlich ich?“,
„Sie waren der einzig mögliche, perfekte Kandidat für das Projekt 'Menschheitserhalt 2.0'“,
„Oooh“, sagte Stefan mit stolz geschwenkter Stimme,
„Da Sie“, fuhr die schöne Professorin fort, „die einzige Person in der Menschheitsgeschichte sind, deren Herauslösen aus ihrem natürlichen Zeitstrahl nicht die geringsten Auswirkungen auf die darauffolgenden Geschehnisse hat.“,
„Oh.“, sagte Stefan mit leicht enttäuschter Stimmer.
„Ja. Sehen Sie, rein theoretisch haben wir bereits seit Jahrzehnten das Wissen und die Technologie um in der Zeit zu reisen. Es wurde allerdings bis heute nie in die Praxis umgesetzt, da uns noch für keine angedachte Zeitmission grünes Licht von dem Programm gegeben wurde, das die Folgen eines Eingriffs in die Vergangenheit berechnet. Ich denke sogar Sie, Herr Schmitt, können sich die Problematik vorstellen. Nehmen wir an, ein Zeitreisender tritt irgendwann in der Vergangenheit versehentlich auf eine Spinne, die dadurch eine Stunde später nicht auf der Türklinke eines Cafés sitzen wird, was eine Dame daran gehindert hätte, jenes Etablissement zu betreten, wo sie nun aber dadurch Bekanntschaft mit einem jungen Herren macht, mit dem sie später ein Kind zeugt, welches im Erwachsenenalter kriminell wird und einen Jugendlichen ermordet, der andernfalls, hätte er lange genug gelebt um sich fortzupflanzen, der Vorfahre eines Masseurs geworden wäre, dessen sehr gute Arbeit dafür gesorgt hätte, dass eine gestresste Wissenschaftlerin genug entspannen konnte um einen guten Einfall zu bekommen, der zum Erfolg der Zeitreiseforschung beigetragen hätte. Sie verstehen, worauf ich hinaus will?“,
„Öhm … ja, dings. Chaostheorie?“,
„Das war in Ihrer Zeit die nette 'Schmetterlingsflügelschlag führt zu Orkanen'-Theorie, richtig? Ja, der Vergleich funktioniert durchaus. Nur sind die Auswirkungen kleinster Abweichungen bei Zeitreisen selbstverständlich sehr viel weitreichender. Ein solches Paradoxon, wie in meinem Beispiel beschrieben, hätte die sofortige und endgültige Auslöschung des gesamten Universums zur Folge. Sie verstehen die Problematik?“
„Öhm … denke schon“,
„Gut. Nun ist es aber so, Herr Schmitt, dass unsere Berechnungen ergeben haben, dass Ihr komplettes Leben von vorne bis hinten keine Rolle spielt. Ob und wie sie aus dem Leben scheiden, ist absolut irrelevant für den weiteren Verlauf der Geschichte. Sie sind einfach allumfassend egal, Herr Schmitt.“
„Öhm … ok …“,
„In ihrer Zeitline gab es sogar gleich mehrere Gelegenheiten, für die uns das Programm grünes Licht gegeben hat. Erstaunlich. Niemand von uns hätte zu glauben gewagt, dass es überhaupt möglich ist, dass ein menschliches Wesen in diesem Universum so unwichtig sein kann, wie Sie es offenkundig sind. Die Entscheidung zum Zeitpunkt unserer Mission ist auf Ihren morgendlichen Toilettengang an diesem Tag gefallen, da uns das Restrisiko, doch irgendeinen größeren Schaden zu verursachen, für diesen Moment am geringsten erschien. Trotzdem mussten wir sehr präzise und schnell eingreifen, um nicht beispielsweise versehentlich die Fensterscheibe des Raumes zu beschädigen, was, Sie ahnen es sicher, das Ende allen Seins zur Folge gehabt hätte.“
„Öhm … das heißt …“,
„Ja, Herr Schmitt, das heißt, ihr Badezimmerfenster ist relevanter als Sie.“
„Öhm oh. Aber… Meine Freundin, meine Kollegen.. Sucht man nicht nach mir?“
Die Frau im Kittel räusperte sich. „Was ich vergaß zu erwähnen: Ihren Körper haben wir in Ihrer Zeit mit einem leblosen Duplikat ersetzt. Diagnose Herzinfarkt. Man hat sich nicht lange damit beschäftigt. Sämtliche Auswirkungen, die ihr Ableben verursacht hat, also Finden, Untersuchen, Lagern, Bestatten Ihres Körpers und dergleichen Dinge, waren so gering, dass sich die Ereignisse danach schnell wieder in die korrekten Bahnen eingefunden haben. Wie bereits erwähnt, Herr Schmitt, hätte Ihre sogenannte Lebensabschnittsgefährtin die Beziehung ohnehin bald beendet. Demnach haben wir ihr lediglich den Gefallen getan, dass sie anstatt sich mit einem schlechten Gewissen Ihnen gegenüber zu quälen, trauern konnte. Wenn auch ein wenig geheuchelt, wenn man bedenkt, wie wenig Sympathie sie Ihnen zu diesem Zeitpunkt nur noch entgegengebracht hatte. Die psychologischen Unterschiede zwischen Trauer und schlechtem Gewissen sind hier so marginal, dass dies keinen Unterschied gemacht hat.
Auf der Arbeit hat man sich ein, zwei Tage über Ihr Fehlen geärgert. Ihre Aufgaben konnten aber problemlos unter den übrigen Mitarbeitern verteilt werden, sodass keine Neuanstellung nötig war.“
„Öhm… aber wenn ich da jetzt weiter gelebt hätte, hätte ich doch bestimmt irgendwann mal…“,
„Nein, Herr Schmitt.“
„Aber…“,
„Sie hätten nie etwas zu irgendwem gesagt, oder etwas gemacht, was einen besondern Einfluss auf andere Menschen gehabt hätte. Sie sind eine beeindruckend uninspirierende Persönlichkeit. Sie wären bis zur Rente in Ihrem Job geblieben, nach Feierabend nach Hause, hätten dort Fernsehen geschaut und gelegentlich mit Ihren oberflächlichen Bekanntschaften, die Sie gerne als 'Freunde' bezeichnet haben, in einer Kneipe Banalitäten ausgetauscht und wären irgendwann ohnehin auf der Toilette einem Herzinfarkt erlegen. Wir haben dieses Ereignis in Ihrem Zeitstrahl lediglich etwas vorgezogen.“
„Öhm…“
„Herr Schmitt, ich sehe keinen Grund so schockiert zu schauen. Wir alle sind Ihnen sehr dankbar für Ihren Entschluss ein in keinster Weise ambitioniertes Leben zu führen. Wäre Ihre gesamte Existenz nicht so vernachlässigbar, wären Sie für unser Programm unbrauchbar gewesen. Hätten Sie im Laufe Ihres Lebens auch nur eine ansatzweise nennenswerte Charaktereigenschaft entwickelt und wenigstens einen Menschen dazu gebracht, Sie bedingungslos zu lieben oder wenigstens ehrliches Interesse an Ihnen zu entwickeln, wären wir jetzt verloren, Herr Schmitt. Wir danken Ihnen. Danke, Herr Schmitt, dass Sie so unglaublich nichtig sind.“
„Öhm… gern geschehen?“
„Nun hoffen wir natürlich, dass wir auf Ihre Kooperation setzen dürfen.“
„Öhm, achso, heißt das ihr, ähm, also Sie wollen, dass ich… Also heißt das, ich darf, öhm, soll…“, er deutete unsicher, aber hoffnungsvoll auf die weiblichen Kittelträgerinnen im Raum.
„Nein Herr Schmitt.“, unterbrach ihn die Rednerin mit einem amüsierten Unterton, der zum ersten Mal eine für Stefan erkennbare Art menschlicher Regung vermuten lies.
„Nein nein, der von Ihnen angedeutete natürliche Akt der Befruchtung wäre bei der Menge an zu befruchtenden Frauen weder logistisch umsetzbar, noch in irgendeiner Weise von unserer Seite erstrebenswert, das müssen Sie verstehen. Wir würden Ihnen lediglich eine kleine Samenspende entnehmen, diese dann im Labor optimieren, duplizieren, variieren…“,
„optimieren?“,
„Ja, Herr Schmitt, selbstverständlich haben wir ein großes Interesse daran, dass Ihre Nachkömmlinge, also die Generation, die den Fortbestand der Menschheit sichern soll, nicht Ihren Mangel an Intelligenz, Ehrgeiz und Talent erbt, das verstehen Sie doch sicher.“
„Öhm…“,
„Zudem müssen wir natürlich sicherstellen, dass die Variationen Ihrer Spende weit genug vom Original abweichen um Inzest-bedingte Fehlbildungen bei kommenden Generationen vorzubeugen.“
„Klar.“
„Hinzu kommt, dass Ihr Maß an Attraktivität, welches selbst nach den Maßstäben Ihrer Zeit bestenfalls als durchschnittlich zu bewerten ist, selbstverständlich nicht ansatzweise dem entspricht, was wir als schön empfinden. Ich meine, sehen Sie uns doch an.“
„Ja. Ok. Öhm. Können Sie nicht gleich alles einfach selbst im Labor.. Irgendwie so quasi zusammenkochen oder so?“
Die Frau im Kittel seufzte erstaunlich emotionslos: „Könnten wir, Herr Schmitt, könnten wir. Es gab auch lange und aus der Sicht einiger Menschen sehr erfolgreiche Bemühungen in der Richtung, allerdings hat die Ethikkommission entschieden, dass das Projekt 'Menschheitserhalt 1.0' einzustellen sei, da den Emporkömmlingen dieser Versuchsreihe, die menschliche Komponente fehle. Man befürchtete, sie wären nicht in der Lage Empathie und dergleichen zu entwickeln.“
„Ah… und öhm… Sie sind jetzt die Menschen, die bei dem Projekt entstanden sind?“
„Was? Nein, wie kommen Sie darauf?“,
„Öhm…“,
Es entstand eine recht unangenehme Pause voller verwirrtem Stirnrunzeln auf Stefans Seite und unbehaglichem Fehlen jeglicher Mimik seitens der sehr schönen Professorin. Die Frau beschloss nach einigen Sekunden die Frage nicht weiter zu beachten und die Konversation unbeirrt fortzusetzen: „Nun, Herr Schmitt, können wir auf Ihre Unterstützung zählen?“
„Ja, öhm, denke schon. Was muss ich’n da machen?“, fragte Stefan.
„Sie müssen überhaupt nichts machen, Herr Schmitt. Sie bleiben einfach so sitzen. Wir haben an Ihrem Hocker eine Apparatur installiert, die alles Nötige übernimmt. Kann es losgehen, Herr Schmitt?“
„Öhm…“, bevor Stefan ein weiteres Wort sagen konnte, fuhr ein metallener Sichtschutz kegelförmig um seinen Köper hoch, bis nur noch sein Kopf aus einer Öffnung herauslugte. Was daraufhin hüftabwärts seines Körpers vonstatten ging, konnte er lediglich erahnen. Es nahm jedenfalls nur wenige Sekunden in Anspruch, in denen sich zunächst ein beinahe unangenehm intensives Hochgefühl einstellte, welches in der nächsten Sekunde Erschöpfung, leichter Enttäuschung und Scham wich. Schließlich erfolgte ein Piepton, den Stefan an seine Mikrowelle erinnerte. Der metallene Sichtschutz fuhr wieder herunter und offenbarte neben Stefan einen dünnen Metallarm, der ein mit einer milchigen Flüssigkeit gefülltes Reagenzgläschen hielt. Stefan stellte mit Erstaunen fest, dass die seltsame Apparatur allen Anschein nach zusätzlich sein Hemd und seine Hose gereinigt und gebügelt hatte, und ihm beschlich zudem das Gefühl, dass die übriggebliebenen Verunreinigungen durch seinen morgendlichen Stuhlgang ebenfalls beseitigt waren.
„Öhm… war’s das?“, fragte er.
„Ja, Herr Schmitt, das war es schon.“, antwortete die Frau, trat einen Schritt näher und nahm das Reagenzglas an sich.
„Wir danken Ihnen für ihre Kooperation. Sie haben soeben den Fortbestand der Menschheit gesichert.“, fügte sie im sachlichen Ton hinzu und sie und ihre Kollegen belohnten Stefans Mitarbeit mit einem etwa zweiminütigen, sehr exakt getakteten Applaus in angenehmer Lautstärke.
„Ja, passt schon“, winkte Stefan ab, „So interessehalber: Was hätten Sie denn gemacht, wenn ich nein gesagt hätte?“,
„In diesem Fall hätten wir Ihnen ein geruchloses Gas zugeführt, durch das Sie eingeschlafen wären. Die Samenspende hätten wir Ihnen in der Zeit Ihrer Bewusstlosigkeit entnommen und nach Ihrem Erwachen hätten wir Ihnen versichert, eine alternative Lösung für unser Problems gefunden zu haben.“
„Öhm… also… das heißt… Sie hätten mich unter Drogen gesetzt und… vergewaltigt?“
„Wir haben uns im Vorfeld lange mit der Ethikkommission beraten, ob dieser Eingriff als Vergewaltigung zu bewerten gewesen wäre.“,
„und?“,
„wir haben beschlossen, es nicht so zu bewerten.“,
„Öhm… Achso ok… Öhm… was passiert jetzt eigentlich mit mir?“
„Da wir Ihnen sehr dankbar für Ihr Mitwirken sind, versteht es sich, dass wir für Ihr Wohl sorgen werden. Wir haben Ihnen ein Apartment ganz im Stil Ihrer früheren Wohnung eingerichtet. Werktags steht Ihnen in einem Nebengebäude eine Bürosimulation zur Verfügung, in der Sie wichtig anmutende Papiere stempeln und irgendwo hinschicken können. Zweimal die Woche schicken wir Ihnen abends zwei Männer vorbei, die mit Ihnen Karten spielen und gemeinsam mit Ihnen alkoholische Getränke konsumieren werden. Wenn es Ihnen sonst an irgendetwas fehlt, können Sie sich jederzeit melden, man ist Ihnen stets gerne behilflich. Haben Sie noch irgendwelche Fragen? Nein? Dann wird mein Kollege Sie zu Ihrem neuen Zuhause begleiten. Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Leben.“
Mit diesen Worten verließ die wunderschöne Frau im Kittel mit einigen ihrer ebenso wunderschönen Kolleginnen und Kollegen den Raum. Einer der übrigen wunderschönen Professoren forderte Stefan auf ihm zu folgen, was dieser ohne Einwand tat. Als die beiden schließlich durch die langen, kahlen Flure auf den sterilen, kahlen Asphaltvorplatz des Instituts heraustraten, sauste um die Ecke ein windschnittiges, schwebendes Gefährt mit getönten Scheiben heran. Der Intensität des Auftrittes wären quietschende Reifen durchaus angemessen gewesen, der technische Fortschritt ließ jedoch nur ein mäßig rebellisches Surren zu, welches beim Anhalten langsam verklang.
„Oh nein, Outlaws!“, sagte der bildschöne Mann im Kittel beinahe überrascht, „Öhm…“, fügte Stefan hinzu. Aus dem Schwebegefährt sprangen vier maskierte Menschen, die verglichen mit den Personen, die Stefan bisher zu Gesicht bekommen hatte, tatsächlich allesamt wie Punks aussahen. Mit ihren nicht streng zur Seite gekämmten Kurzhaarfrisuren und den Hemden, deren oberer Knopf jeweils offen war. Eine Person sprühte dem Professor ein Gas ins Gesicht, der daraufhin bewusstlos zu Boden sank, zwei Personen packten Stefan an je einem Arm und schoben ihn sanft, aber bestimmt in das Fahrzeuginnere und die vierte Person hielt während der Aktion die Wagentür auf und rief den MitstreiterInnen motivierende Anweisungen zu. Schnell waren alle vier, sowie Stefan, im Inneren des Gefährts, das daraufhin mit leider nicht quietschenden Reifen, dafür aber mit einem unaufdringlichen Brummen davon sauste.
Stefan saß seinen Entführern gegenüber, die sich nun die Masken vom Gesicht zogen und sich als ebenso makellos schöne, wenn auch nicht ganz so makellos gekleidete Personen entpuppten.
„Stefan Schmitt?“, fragte ein junger Mann,
„Öhm… ja?“
„Wir sind eine Gruppe im Untergrund lebender FreiheitskämpferInnen, aber sei unbesorgt, wir werden dir nichts tun! Wir sind die 'Organisation zum Erhalt der Menschlichkeit', kurz die OEM.“
„Öhm…“,
„Genau. Stefan, ich darf doch Stefan sagen, oder? Stefan, wir bedauern den unfeinen Umgang mit dir, ich fürchte aber, um an dich ranzukommen, blieb uns leider keine Wahl. Wir haben Großes mit dir vor.“
„Öhm, ja?“,
„Ja, siehst du, wir, Als OEM, sind der Überzeugung, dass unsere Gesellschaft bei dem Streben nach Perfektion der letzten Jahrhunderte jegliche Menschlichkeit verloren hat, verstehst du? Wir wissen vor lauter allumfassender, Schönheit und Unfehlbarkeit nicht mehr, welche Ideale wir verehren sollen. Wir sehnen uns nach Makel, Hässlichkeit, Gestank und Dummheit. Also nach Menschen, wie dir, Stefan!“
„Öhm…“
„Verstehst du, wir sind große Verehrer deiner unübersehbaren Mängel. Sie sind es, die unsere Gesellschaft wieder liebens- und lebenswerter machen können. Aber nicht, mit Genmaterial, dem im Institut jegliche Individualität herausoptimiert wurde. Wir wollen den echten Stefan. Deshalb bitten wir dich, mit uns in den Untergrund zu gehen um mit uns eine parallele neue Generation aufzuziehen.“
„Öhm, ok… Habt ihr auch so eine Abzapf-Dings-Maschine?“
„Nein, dafür fehlt das Budget. Aber einige gebärfähige Mitstreiterinnen haben sich gemeldet um das Projekt 'Operation Menschlichkeitsrückoptimierung' auf natürliche Weise zu unterstützen. Stefan, wie sieht es aus, können wir auf dich zählen?“
„Öhm, klar, sicher, ja, ok.“
„Großartig!“
die UntergrundkämpferInnen im Fahrzeug klatschten nicht ganz exakt getaktet, lachten ein wenig und klopften Stefan auf Rücken und Schultern.
So fuhr Stefan Schmitt seinem neuen Leben schulterzuckend entgegen. Als Urvater der neuen Menschheit und als wichtigster Mann der Welt.

Ende.
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