Die Nazioma im Tresor
Endlich war Thea drinnen. Lange hatte sie die antifaschistische Arbeitergruppe nur von außen beobachtet, die in der Wagnerstraße seit zwei drei Jahren ein leerstehendes Wohnhaus besetzt hatte. Lange hatte sie voller Neugier und Sehnsucht verfolgt wie ihre Mitglieder gemeinsam an Demonstrationen teilnahmen, Flyer, Aufkleber und Poster gestalteten und verteilten und dergleichen. Sie war sicher, die passende Gruppe gefunden zu haben, mit der sie ihren Vorsatz, mehr durch gesellschaftliches Engagement zu glänzen, in die Tat umsetzen könnte. Also schloss sie Kontakt zu ihrem Kommilitonen und Mitglied dieser Gruppe, Benny. Er hatte ihr durchaus zu verstehen gegeben, dass es sich nicht um eine der Arbeitergruppen handelte, bei der einfach jeder mitmachen könne. Man würde schon genauestens prüfen, ob dem Anwerber, bzw. der Anwerberin zu trauen sei, die man in die Reihen aufzunehmen gedachte. Es gäbe geheime Projekte, über die keinesfalls Informationen nach außen treten dürften.
Letztlich war es für Thea aber nicht sonderlich schwer gewesen, ihn von ihrer Aufrichtigkeit zu überzeugen. Zwei bis drei Abende in der gemeinsamen Lieblingskneipe, und das Thema war durch. Es half sicher, dass Benny schnell Gefallen an ihr gefunden hatte, was Thea zwar nicht ausnutzen wollte, dass es ihr aber in diesem Falle gelegen kam, war kaum zu leugnen. Daher zeigte sie sich dem ein oder anderen Flirt gegenüber nicht abgeneigt. Es ging ihr natürlich primär darum, ihrem Karma zuliebe etwas zu bewegen und als Person wahrgenommen zu werden, die Sinnvolles zum Wohle einer offenen, gerechten und friedlichen Gesellschaft beiträgt, aber wer weiß, vielleicht passte es ja auch mit Benny – ihre Einstellungen waren ja schonmal kompatibel.
So schaffte sie es nicht nur, schnell Zugang zu dieser namenlosen Gemeinschaft zu bekommen, es war Benny sogar ein enormes Anliegen, sie von deren Relevanz und Produktivität zu überzeugen. Auf einer Party, die aus keinem bestimmten Grund in dem besetzten Gebäude veranstaltet wurde, bei der sämtliche Mitglieder übernachten würden, nahm Benny sie zur Seite. Mit geheimnisvollem Unterton fragte er, ob sie sehen wolle, mit welchem Projekt die Gruppe langfristig die gesamte Welt zum Besseren zu verändern gedachte. Thea wollte. Selbstverständlich wollte sie. Benny schien aufgeregt, als er Thea am Arm fasste und zur Kellertür führte. Er kramte einen Schlüssel aus seinem Beutel, öffnete die Tür und wies ihr schelmisch grinsend den Vortritt.
Thea zögerte einen Moment: Sie fragte sich, inwiefern Bennys Absichten zu trauen war, mit dem Wissen im Fall der Fälle aber mit einem Pfefferspray ausgerüstet zu sein, ging sie dann doch die Treppe herunter, die in einen spärlich beleuchteten Kellerflur endete. Die unverputzten Wände, die von Spinnenweben überzogen waren, strahlten Kälte aus, es roch modrig und Thea war sich sicher, das Tippeln kleiner Nagerfüße zu hören. Hier standen überall Kisten, leere Flaschen und sonstiges Gerümpel. Benny zeigte auf eine Tür am Ende des Flurs.
„Da drinnen.“
Thea weigerte sich, das eingeschüchterte Mädchen zu geben, dem Benny augenscheinlich gerne einen starken Beschützer präsentieren wollte. Aufrecht und beherzt ging sie den Flur entlang, öffnete die Tür, betrat den Raum und stand vor einem mannshohen Stahltresor. Abgesehen davon war das Zimmer leer.
„Unsere Gruppe macht weit mehr als nur gegen Faschos zu demonstrieren und Partys zu feiern“, verkündete Benny verheißungsvoll, „In diesem Tresor befindet sich der Prototyp eines Werkzeugs, das uns langfristig helfen soll, den Rechtspopulismus zu besiegen. Wir sind zwar erst am Anfang, und diesen Prototyp werden wir nicht einsetzen können, da er noch zu gefährlich ist und einige Unstimmigkeiten noch ausgebügelt werden müssen, aber er ist trotzdem unser ganzer Stolz.“
Er schritt an Thea vorbei, tippte auf dem großen Zahlenfeld, das an der Tür des Tresors angebracht war drei Tasten, und wich wieder zurück.
Es zischte und lautes Klicken, Rattern und Brummen ertönte aus dem eisernen Monolithen. Sowie die schwere Tür aufschwang, breitete sich dichter Nebel durch die Öffnung im Kellerraum aus. Mit immer schneller schlagendem Herzen kniff Thea die Augen zusammen. So wie sich die Luft langsam wieder aufklarte, deutete sich eine bedrohliche, menschliche Silhouette im Inneren des Tresors ab. Schließlich verzog sich der Nebel vollständig und gab den Blick frei. In dem Eisenschrank saß, mit Lederriemen an einem Holzstuhl angekettet, eine alte Frau. Mehr nicht. Eine gewöhnliche, freundlich aussehende Frau mit kurzen grauen Locken, kleinen runden Brillengläsern, einem zartvioletten Kleid mit Blumenmuster, über das eine Schürze gebunden war. Sie schmatzte nichtessend und duftete nach Kuchenteig und Erwachsenenwindeln.
Nun wollte Thea Dinge wissen. Das Problem war jedoch, dass sich in dieser Situation keine naheliegenden, konkreten Fragen anboten. Also verlieh sie ihrem Wissensdurst Ausdruck, indem sie mit beiden Händen auf die angekettete Frau deutete und Benny anblickend „we... was?“ fragte. Dieser nickte verständnisvoll. „Das“, sagte er, „ist der ganze Stolz unserer Robotikabteilung. Ja, wir haben eine Robotikabteilung. Die Beste der Welt. Was du hier siehst ist unser ,rechtskonservativer intelligenter Trainings-Androide’, kurz: RITA.“
Bei Erwähnung ihres Namens zuckten die Gliedmaßen der künstlichen Intelligenz und ein kleines Licht schien in ihren Augen zu flackern. „D-d-d-daaaaa“, ertönte es aus ihrem Mund, was erst nach einem Störgeräusch klang, sich aber schnell zu einer Stimme entwickelte, die von der, einer echten Frau kaum noch zu unterscheiden war.
„d-d-dddddaaaas www wi-wi-wirrrrrrd MIEP, memmmemannjesssaaaaaa man jaaawowowo wewooohl noch sagen dürfen!“
„RITA wurde“, erklärte Benny, „von unseren Leuten gebaut und auf eine rückständige und fremdenfeindliche Haltung programmiert. Wir haben unter Mitgliedern und Freunden Annektdoten und Zitate gesammelt, die sie jeweils von ihren Verwandten oder Bekannten auf Familienfeiern und so weiter aufgeschnappt haben. Du weißt ja, wir alle haben mindestens einen in unserem Umfeld, der nicht anders kann als seine fragwürdigen politischen Ansichten bei jeder Gelegenheit breitzuwälzen. Man ignoriert das ja immer ganz gerne oder versucht, diese Themen einfach zu vermeiden, aber jetzt ist es ja einfach seit Jahren schon so, dass diese Stimmen immer tabubrechender, lauter, häufiger und irgendwie gesellschaftsfähiger werden. Ich meine, wir können ja in sämtlichen Ländern der zivilisierten Welt den Rechtsruck klar beobachten. Und deshalb wollen wir Androiden entwickeln, mit denen wir den friedlichen Umgang mit Rechtspopulisten trainieren können. Mit denen wir diskutieren üben können und sehen können, welche Argumentation bei ihnen zündet, und welche nicht. RITA ist nur der Prototyp. Sie ist nicht im Einsatz, da noch einige Kinderkrankheiten auszubügeln sind, aber ist sie nicht der reine Wahnsinn? Pass mal auf:“, er wandte sich an die alte Frau, „Hey RITA, gestern wurden ein Araber von zwei Neonazis zusammengeschlagen. Das ist doch furchtbar, oder?“
In dem Roboter schien ein Denkprozess gestartet. Sie schüttelte leicht ihren Kopf und sagte dann: „D-ddd-Das sind einfach nur Menschen, die sich dagegen wehren, dass hier messerstechende Migranten auf unseren Straßen rumlaufen!“1
Benny nickte lächelnd und Thea fragte: „Sie wirkt so lebendig. Kann sie… ich meine.… lebt sie? Kann sie fühlen?“,
„Wissen wir nicht so genau“, antwortete Benny, „von der Programmierung her sollte sie es eigentlich nicht können. Aber manche Äußerungen von ihr haben uns dann doch überrascht. Ich meine, sie ist ja eigentlich auf Frust, Empörung, Wut und solche Sachen programmiert, aber uns gegenüber kam sie auch immer wieder mal mit Liebenswürdigkeiten, oder einmal hat sie plötzlich angefangen sehnsüchtig von irgendwelchen nicht vorhandenen Kindern und Enkeln zu sprechen. Außerdem hat sie eine gewisse Art von Humor entwickelt.“,
„www-warum haben N*** helle Handflächen?“,
„Ja ok, ihr Humor ist nicht gerade politisch korrekt, erstaunlich ist es trotzdem. Aber ich glaube nicht, dass sie wirklich ein Bewusstsein hat.“
„W-w-wwoooo bin ich?“, fragte RITA und versuchte vergeblich sich durch mehrfaches Rütteln von den Fesseln zu lösen, „derrrr Russe hat mich entführt. Hilfe. Hi-Hilfe.“
„Also ganz offensichtlich kann sie Angst haben“, rief Thea aus, „müsst ihr sie denn in diesem Eisenschrank einsperren?“
„Ich verstehe dich ja“, beschwichtigte Benny, „aber sie rauszulassen wäre zu riskant. RITA hat eine ziemlich seltsame Wirkung auf Leute, die zu lange mit ihr sprechen. Wir können sie nicht draußen rumlaufen lassen. Es ist sicherer sie hier unter Verschluss zu halten.“ Er sah ernsthaft besorgt, und auch ein wenig gekränkt aus. Als bereue er es, Thea in dieses Geheimnis eingeweiht zu haben.
„Naja, ich wollte dir halt zeigen, wozu unsere Gemeinschaft fähig ist. Du könntest da ruhig auch mal ein bisschen beeindruckter sein. Egal, lass uns wieder hoch gehen.“
„Bbbbitte lasst mich nicht allein!“, krächzte RITA, während Benny unter Theas flehendem Blick die schwere Stahltür zudrückte und erneut den Zahlencode eintippte. Es ratterte und knackte im Tresor und Thea hörte dumpf RITAs Worte: „Es war ja nicht alles schlecht dedededaaaamaaals..“, dann war es wieder still im Raum.
„Das ist nicht richtig, Benny! Sie hat Angst, ihr könnt sie doch nicht hier unten einsperren. Das ist doch unmenschlich!“,
„Ja aber sie ist ja kein Mensch. Ja ich weiß, es wirkt so, aber wir glauben nicht, dass sie wirklich ein echtes Bewusstsein hat. Abgesehen davon hast du ihre Ansichten doch gehört, findest du wirklich, sie sollte draußen rumlaufen?“,
„Ach ok, dann bist du also der Ansicht“, rief Thea mit rotem Kopf, „dass Leute, deren Weltbild dir nicht passt, nicht frei rumlaufen dürften? Mein Gott, sie ist eine alte Frau mit schrägen Ansichten, was kann sie schon groß anstellen? Ja, ich habe auch meine verschrobenen Rassisten auf Familienfeiern, aber weil ich halt weiß, dass sie stur, alt und harmlos sind, vermeide ich eben manche Themen. Und vor allen Dingen sperre ich sie nicht in den Keller ein!“
„OK, reicht jetzt“, rief Benny wütend, „RITA ist eine Maschine. Eine, von der wir nicht wissen, wie gefährlich sie eventuell werden kann, weswegen wir sie unter Verschluss halten. Mir fällt das selbst nicht leicht – sie erinnert mich an meine Omi, aber so ist es für alle Beteiligten das Beste.“
Damit war das Thema erledigt. Thea folgte Benny zurück zu den anderen, wo sie sich unter die Leute mischte und einen weitestgehend lustigen Abend genoss. Doch RITA blieb in ihrem Kopf. Bei jedem Lachen, jedem heiteren Smalltalk juckte sie der Gedanken an die Frau, die im kalten Keller an einen Stuhl gefesselt ihr Dasein fristete, vermutlich schreckliche Angst hatte und überhaupt nicht begriff, warum man ihr dieses Leid zufügte. Der Gedanke verfolgte sie bis in die spätesten Stunden, als alle sich auf den Sofas, den Matratzen und Matten schlafen gelegt hatten. Thea rollte sich auf ihren Kissen hin und her, aber sie schlief nicht ein. Nach einiger Zeit beschloss sie, dass sie diese Grausamkeit nicht ertragen konnte. Sie schlich sich zu Benny, der am anderen Ende des Raumes tief und fest auf einer Yogamatte schlief. Sie schaffte es, den Kellerschlüssel aus seiner Tasche zu fischen und eilte auf leisen Solen zurück zu RITA. Vor dem Tresor stehend verschloss sie vorsichtig die Zimmertür und wartete still einige Sekunden, um sicherzustellen, dass niemand durch ihre Schritte, dem Geklimper des Schlüssels, oder den Geräuschen der Türen wach geworden war. Doch sie hörte nichts von oben. Sie atmete tief ein und aus. Ihr war bewusst, dass ihr Vorhaben sie für eine feste Aufnahme in dieser Gruppe disqualifizieren würde, aber schließlich war sie hier her gekommen, weil sie endlich eine Person sein wollte, die etwas gegen Ungerechtigkeit unternimmt. Dies war nun die Gelegenheit, sich selbst gegenüber Wort zu halten. Thea hatte eine gute Beobachtungsgabe, weswegen es ihr nicht schwergefallen war, sich die Kombination zu merken, die Benny in das Zahlenfeld eingegeben hatte. 1 - 2- 6.
Erneut knackte und zischte es, erneut flog die schwere Eisentür auf und gab den Blick auf den Androiden frei. RITAs Augen flackerten leicht, ihr Kopf zuckte hin und her. Theas Herz klopfte wie verrückt. Sie hoffte, keinen Fehler zu machen, als sie die Schnallen löste und RITA nach und nach von den Ledergürteln, die sie an den Stuhl fesselten, zu befreien. Die künstliche Intelligenz blickte Thea dabei tief in die Augen und die Studentin war sich sicher, Dankbarkeit in ihrem Blick zu erkennen. Als RITA endlich nichts mehr an den Stuhl hielt, unternahm sie erste Aufsteh-Versuche, kippte aber gleich zurück. Voller Mitleid half Thea ihr und stützte sie. Gemeinsam gingen sie Schritt für Schritt durch den Keller, und erklommen mühsam die Treppe. Mit jedem Meter wurde RITAs Gang ein wenig sicherer und bis auf das ein oder andere leise Wimmern, blieb sie zu Theas Erleichterung still. Auch als sie durch das Wohnzimmer schlichen. RITA ließ ihren Blick hier nervös zwischen den Schlafenden wandern, fing leicht an zu zittern und erhöhte ihr Schritttempo. Thea strich ihr ermutigend über den Rücken und konnte sich bei all der Aufregung eine große Bewunderung nicht nehmen lassen, dass RITA die Brenzligkeit der Situation begriff und verstand, dass sie möglichst leise und schnell sein musste.
An der Haustür angekommen öffnete Thea diese vorsichtig, schob RITA raus, schlich selbst nach draußen und schloss die Tür wieder hinter sich. Sie erlaubte sich, tief durchzuatmen, ehe sie zu RITA sagte: „So, das war’s. Du bist frei.“
Die KI starrte eine Weile in die Ferne. „Ddddddaaanke!“, sagte sie und umfasste Theas Hände,
„Du solltest lieber auch weg hier. Dedededaaaa drinnen waren Migrrrrantenmänner, das ist gefährlich für so eine hübsche junge Blondine.“
Und mit diesen Worten setzte sie sich in Bewegung und ging mit kleinen Schritten der langsam aufgehenden Sonne entgegen. Thea musste über die letzte Bemerkung schmunzeln. Irgendwie, so fand sie, war dieser naive Rassismus ja auch ganz drollig. Überzeugt davon, eine gute Tat vollbracht zu haben, setzte Thea sich auf einen Gartenstuhl, der neben der Eingangstür stand und schlief gleich darauf friedlich ein.
Ein unsanftes Rütteln weckte sie am frühen Nachmittag. Als sie die Augen öffnete, sah sie in Bennys entsetztes Gesicht. Hinter ihm die übrigen Partygäste, die sie gestern kennengelernt hatte, die ihr nicht weniger entsetzt und teilweise mit vernichtenden Blicken entgegen starrten.
„Was hast du getan?“, brüllte Benny sie an.
Es dauerte einen Moment, ehe sie die Situation einordnen konnte, doch sobald sie die Erinnerungen der letzten Stunden eingeholt hatten, richtete sie sich stolz auf, blickte ihrem Gegenüber selbstbewusst in die Augen und sagte: „Das einzig Richtige. Ich habe eure Geisel befreit.“
Benny trat einen Schritt zurück, raufte sich die Haare und stieß einen gequälten Schrei aus.
„Was zum … Ich habe dir RITA gezeigt, weil ich dachte, dir könnte man trauen. Was soll der Scheiß?“,
„Ach komm“, wehrte Thea ab, „du hast mir RITA gezeigt, weil du mich beeindrucken wolltest und dachtest, dass das deine Chancen erhöht, mich ins Bett zu kriegen.“,
„Nun“, sagte Benny, „jedenfalls will ich jetzt garantiert nicht mehr mit dir ins Bett. Wie auch immer, du hast uns die Scheiße eingebrockt, jetzt hilfst du auch, sie wieder zurückzuholen! Sie ist gefährlich.“
„Warum?“, wollte Thea wissen, „Sie ist doch nur eine verschrobene Oma mit veralteten Ansichten. Was soll daran denn so gefährlich sein?“
Ehe Gelegenheit war, diese Frage zu beantworten, wurde die Gruppe auf ein rhythmisches Marschgeräusch und auf einen monotonen Stimmenchor aufmerksam. Die Worte waren nicht zu verstehen, dafür waren die Stimmen noch zu weit entfernt. Die gesamte Gruppe blickte in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Außer bei Thea zeichnete sich bei allen Sorge, bis Panik in den Gesichtern ab.
„Der Letzte“, erklärte Benny mit zittriger Stimme, „der sich längere Zeit mit RITA unterhalten hat, hat sich … nun … verändert. Wir können es uns nicht erklären, aber RITA darf auf gar keinen Fall draußen rumlaufen. Wir müssen sie zurückholen!“
Am Ende der Straße zeichnete sich eine Gruppe verschiedener weißer Männer und Frauen ab, die im Gleichschritt marschierten. Sowie sie näher kamen, waren ihre Worte, immer deutlicher zu verstehen: „WIRD MAN WOHL NOCH SAGEN DÜRFEN – WIRD MAN WOHL NOCH SAGEN DÜRFEN – WIRD MAN WOHL NOCH SAGEN DÜRFEN …“
„Fuck! Fuck! Fuck!“, winselte Benny und krallte sich an seinen Haaren fest. Thea kniff die Augen zusammen, um die herannahenden Personen besser erkennen zu können. Die Gruppe schien aus verschiedenen, wahllos zusammengewürfelten Menschen zu bestehen. Sonderbar war, dass sie alle Kleidung trugen, die Thea an Wehrmachtsuniformen erinnerten. Und noch etwas stimmte an den Outfits nicht. Sie lagen zu eng an, warfen keine Falten, hatten eine leicht glänzende Oberfläche. Je näher die Gruppe kam, desto klarer konnte Thea erkennen, dass es keinen Raum zwischen Körper und Stoff zu geben schien. Öffnungen, wie am Kragen oder den Ärmeln und Hosenbeinen gingen wulstig in die Haut über, als seien Mensch und Klamotte miteinander verschmolzen.
„Was zum …“, brachte Thea hervor.
„Scheiße, scheiße, scheiße! Es geht schon los, wir müssen RITA zurückholen. Ich hab doch gesagt, dass …“,
„Du willst jetzt doch nicht sagen, dass sie das war, oder?“,
„Ja doch, ich habe doch gesagt, dass sie eine seltsame Wirkung auf Leute hat, die sich zu lange mit ihr unterhalten.“
„Seltsame Wirkung? Das ist ja wohl die fucking Untertreibung des Jahrhunderts!“,
„Ist doch auch egal jetzt“, meldete sich ein weiteres Mitglied der Gruppe zu Wort, „wichtig ist halt, dass wir jetzt schauen, wie wir das Problem lösen, bevor RITA die ganze Stadt Nazombiefiziert hat.“
Die junge Frau betonte ihre Wortneuschöpfung sehr deutlich und blickte stolz in die Runde in der Hoffnung, ein wenig Anerkennung dafür zu ernten. Doch außer einem der Freunde, der kurz schief lächelnd und nickend auf sie zeigte, schien die Gruppe gedanklich anderweitig beschäftigt zu sein.
„Wer hat RITA denn gebaut, beziehungsweise programmiert?“, fragte Thea.
„Zwei so Nerds. Die sind aber nicht mehr dabei“, sagte einer aus dem Freundeskreis, „die meinten, wir wären nicht die richtigen Leute für so viel Verantwortung. Meinten, wir wären nicht konsequent genug in unseren Überzeugungen um für politisch korrekte Sprache in der Gesellschaft einzustehen. Scheiß schwule Verräterpussys!“
Der Rest der Gruppe nickte und grummelte zustimmend. Derweilen waren die Nazombies bereits deutlich näher gekommen.
„Wie gefährlich sind die denn?“, fragte Thea.
„Och, an sich tun die nichts, glaube ich“, meldete sich ein weiteres Mitglied zu Wort, „Zumindest so den normalen Leuten, wie uns. Aber für … also so für …“, er deutete auf den einzigen POC in der Runde, der sich hinter den Anderen vor den Blicken des anmarschierenden Trupps schützte, „Also für manche könnte das schon was ungemütlich werden, sag ich mal. Wir sollten schauen, dass wir die Nazizombies am besten in die Bude von Bennys Alten einschließen“,
„Okay und wo genau ist die Bude?“, fragte Thea und erntete dafür irritierte Blicke.
„Naja“, erklärte Benny verlegen, „als ich gesagt habe, dass wir Hausbesetzer sind, war das vielleicht ein bisschen übertrieben.“ Er zeigte auf das Gebäude, in dessen Vorhof sie sich befanden, „das ist eine Immobilie meiner Eltern. Die warten irgendwie noch auf Wertsteigerung oder so, bis sie die vermieten. Bis dahin dürfen wir hier abhängen.“
„Okay, wie auch immer“, sagte Thea, „wie kriegen wir die Nazombies denn da rein?“
Eine aus der Gruppe schien einen Gedankenblitz zu haben. Sie fasste ihren Nebenmann an der Schulter und sagte: „Das ist Marvin, mein schwarzer bester Freund. Auf ihn werden sie reagieren. Ich würde sagen, er lockt sie ins Haus, wir schließen die Türe hinter ihnen und Marvin läuft durch die Hintertür wieder raus, schießt diese ab und schon haben wir’s.“
„Was? Ich …“, setzte Marvin an, wurde aber von seinem zweiten Nebenmann unterbrochen, der ihn beherzt aus der Deckung zog und der Nazigruppe, die inzwischen auf der gegenüberliegenden Straßenseite angekommen war, zurief: „Hey ihr da, guckt mal, wen wir hier haben!“
Die Nazombies blieben stehen, verstummten und blickten Marvin an. Der vorderste sagte mit bedrohlich tiefer Stimme: „Wir sind ja keine Nazis, aber …“, und der Rest der Gruppe fiel mit ein, „Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet!“2
Und gemeinsam rannten sie auf Marvin zu, der ohne zu zögern, ins Haus lief. Wie geplant folgte die Nazombiegruppe ihm. Nachdem auch der letzte im Inneren des Gebäudes war, schloss einer der Freunde die Tür.
„Meint ihr nicht, Marvin braucht vielleicht unsere Hilfe?“, fragte ein Mitglied, ein Weiteres entgegnete: „Ach, ich gehe davon aus, dass er viel schneller laufen kann, als die Nazis.“
Man gab sich mit der Antwort zufrieden. „Okay, dann teilen wir uns jetzt für das weitere Vorgehen auf“, beschloss Benny und zeigte nacheinander auf die Mitglieder der Gruppe, „Du, du, du und du, ihr sucht, ob es eventuell noch mehr Nazombies gibt und werdet die irgendwie friedlich los. Denkt euch was aus, sagt ihnen, ihr wisst, wo es ein Asylantenheim gibt, oder so und lockt sie auf die Art irgendwohin, wo sie keinen Schaden anrichten können!“ Die Gewählten nickten und liefen Richtung Stadt.
„Du, du und du, ihr sucht nach diskriminierten Minderheiten, die unterwegs sind, und warnt die Leute, dass es auf den Straßen heute gefährlich für sie werden könnte.“ Auch diese Gruppe nickte und lief davon. Motiviert rief einer von ihnen sogleich zwei Mädchen mit Kopftuch, die gerade um die Ecke kamen zu: „Äy ihr, geht zurück nach Hause!“
Nun waren nur noch Thea und Benny übrig. „So, du und ich“, entschied er, „wir finden RITA und bringen sie zurück. Das ist die gefährlichste Aufgabe. Aber ich vermute, dass hauptsächlich diejenigen Leute gefährdet sind, nazombiefiziert zu werden, die irgendwie unterbewusst rechtes Gedankengut in sich tragen. Und ich habe das nicht, sollte also safe sein. Und du kommst mit, weil du uns die ganze Scheiße eingebrockt hast!“
„Ist ja gut“, sagte Thea augenrollend. Zusammen gingen sie Richtung Innenstadt. Da sie keine weiteren Anhaltspunkte hatten, nahmen sie den Weg, aus dem die Nazombies gekommen waren. Es war dieselbe Richtung, in die nachts RITA in ihre neugewonnene Freiheit gezogen war. Es war bedrohlich ruhig. Ihnen begegneten nur wenige Leute. Zu ihrer Erleichterung waren diese noch nicht von RITA in rechte Zombies verwandelt worden. Doch als sie an Theas Lieblingscafé vorbeikamen, schrieb die Betreiberin des Cafés gerade in krakeliger Frakturschrift „ZUTRITT NUR FÜR ECHTE DEUTSCHE“, an die Scheibe.
Als Thea vor Schreck stehen blieb, wandte die Cafédame sich um und starrte den beiden mit aufgerissenen Augen entgegen. Sie hatte einen kleinen schmalen schwarzen Bart unter ihrer Nase, der, Thea war sich da sicher, einen Tag zuvor noch nicht da war, und auch der schmierige Seitenscheitel war neu. „WOLLEN SIE VIELLEICHT EIN M*HRENKOPFBRÖTCHEN?“, rief die offenbar Nazombifizierte, „ICH EMPFEHLE IHNEN DRINGEND EIN KÖSTLICHES M*HRENKOPFBRÖTCHEN. WIR HABEN M*HRENKOPFBRÖTCHEN. SO HEISST JENE KÖSTLICHKEIT HIER. M*HRENKOPFBRÖTCHEN UND NICHT ANDERS. AUS GUTER ALTER TRADITION! FÜR SIE, WERTES FRÄULEIN DREI REICHSMARK!“
Thea und Benny wogen kurz ihre moralischen Bedenken gegen die Tatsache ab, dass dies wirklich köstlich klang. Sie befanden jedoch, dass es nicht die richtige Zeit für ein Frühstück war, und so zogen sie weiter durch die Straßen, immer mit der Frage im Hinterkopf, wo sie denn wohl hingehen würden, wenn sie ein rassistischer Omaroboter wären.
Plötzlich vernahmen sie entsetztes Schreien in der Nähe. Ohne zu zögern, liefen sie in die Richtung, aus der sie den Lärm hörten und sahen, als sie um die Ecke gebogen waren, RITA auf einem kleinen Platz. Sie sah so harmlos aus, wie eine alte Frau nur aussehen konnte, mit ihren gekrümmten Knien und dem leichten Buckelansatz. Doch ihre Augen leuchteten rot, und jenes Rot wurde mit jedem Wort heller, das sie an die Gruppe von fünf weißen Personen richtete, die vor ihr standen und sich vor Schmerzen krümmten. Schreiend hielten sie ihre Köpfe, auf denen sich ihre Haare kräuselten, und immer kürzer wurden, als würden sie in die Kopfhaut gesogen. Gleichzeitig warf ihr Körper Blasen, die sich wild wabernd verfärbten und verformten. An ihren Füßen nahmen diese Blasen die Form von Springerstiefeln an. Manchen wuchs auf die gleiche Weise eine Bomberjacke, bei anderen war es ein weißes Muskelshirt mit runenartigem Aufdruck und auf der Haut erschienen Tattoowierungen mit ganz ähnlicher Anmutung. Als die Transformation beendet war, hatten sie allesamt glänzend kahle Köpfe und blickten sich mit rasendem Blick um, bis einer auf zwei Schwarze zeigte, die an der anderen Seite des Platzes angelaufen kamen, vermutlich angelockt durch die Schreie. Einer der frisch Nazombiefizierten schrie: „Das Pack zurück nach Afrika prügeln“3, und rannte, gefolgt vom Rest der Gruppe, auf die beiden zu, die auf der Stelle umdrehten, um vor ihren Verfolgern zu fliehen.
„Oah, was laufen die auch noch draußen rum?“, ärgerte Benny sich, „Tim und die anderen haben die doch bestimmt gewarnt.“
Thea nickte schulterzuckend, dann wandten sich die beiden der KI zu.
„Überlass das mir, wir müssen jetzt schön sachte vorgehen!“, murmelte Benny Thea zu und näherte sich RITA mit langsamen Schritten und erhobenen Händen und sagte in möglichst ruhigem Ton: „Hallo RITA, kennst du uns noch? Wir sind deine Freunde.“
„Sag mal Bürschchen“, fuhr die KI ihn an, „was heißt denn hier ‚Du’? Haben wir etwa zusammen im Sandkasten gesessen? Ein bisschen mehr Respekt vorm Alter, wenns recht ist!“
„Er meint das nicht so“, beschwichtigte Thea, die sich der alten Frau ebenso langsam und behutsam näherte, „Wir wollen Ihnen nur helfen. Möchten Sie nicht mit uns nach Hause kommen?“
RITA blickte die beiden abwechselnd mit prüfenden Blick an. „Ihr seid doch diese linkgrünen Gutmenschen, oder etwa nicht?“,
„Nein nein“, sagte Benny, „wir sind Freunde. Kommen Sie doch mit uns wir sind gerade auf dem Weg zu einer Demonstration gegen die Islamisierung des Abendlandes.“
RITA zuckte freudig auf, als sie diese Worte vernahm.
„Unbedingt“, sagte sie, und das zuvor erloschene rote Leuchten in ihren Augen flammte von neuem auf, „Das sind einfach zu viele. Die passen hier doch gar nicht her. Diese Kameltreiber sollen sich dahin scheren, wo sie hingehören, nämlich weit hinter den Bosporus, in ihre Lehmhütten.“4,
„Ja, ganz genau. Kommen Sie mit! Zur Demo geht es hier entlang. Ja, genau. Wir sind das Volk. Ganz Recht“, redete Benny auf sie ein und ging langsam in Richtung des Hauses. Thea war überrascht und erleichtert, dass es zu funktionieren schien. RITA folgte Benny widerstandslos. Thea selbst lief hinter den beiden an dritter Stelle her, um mögliche Fluchtwege zu versperren. Der Androide raunte derweilen weitere Worte zu Benny, die Thea hinterhergehend nicht verstand. Aber sie bekam das ungute Gefühl, mit ihrem Freund stimme etwas nicht. Er schien leicht zu zittern und grummelte seinerseits seltsame Dinge. Plötzlich sackte er keuchend zusammen. Er drehte sich um und blickte Thea hilfesuchend an. Seine Haut war nicht nur blass, sie wurde schneeweiß und schwoll langsam an, Beulen waberten über seinen Körper und verformten sich zu einer weißen Robe. Auf seinem Kopf liefen die Schwellungen zipfelförmig nach oben zu und überdeckten sein Gesicht. Lediglich seine Augen waren durch kleine Aussparungen in der neuen, mit ihm eng verwachsenen Garderobe zu sehen. Zum Schluss wuchs ihm aus der Faust eine fleischige Fackel, die, sowie sie ihre fertige Größe erreicht hatte, Feuer fing.
Thea stand da wie angewurzelt und beobachtete das Geschehen hilflos und voller Schrecken. Als Benny die Transformation überstanden hatte, richtete er sich auf und blickte Thea an. Nachdem er kurz zu überlegen schien, woher er sein Gegenüber kannte, deutete er auf sie und rief „SCHEISS ANTIFA!“ Und rannte auf sie zu.
Thea erschrak, reagierte aber prompt. Sie machte auf dem Satz kehrt und lief in die nächste Straße, dicht gefolgt von Benny. Sie nahm eine weitere Abzweigung und versteckte sich in einem dunklen engen Seitenpfad zwischen zwei Häusern, in der Hoffnung hier unentdeckt zu bleiben. Mit Erfolg. Nazombie-Benny lief kurz darauf wutschreiend geradeaus an ihrem Versteck vorbei.
Theas Herz pochte wie verrückt. Der Schrecken steckte ihr in allen Gliedern. Sie schloss die Augen und atmete mehrmals langsam ein und aus, um sich selbst zu beruhigen. Da hörte sie fast direkt neben sich die Stimme einer alten Frau: „Heute ist ja besonders viel Pack unterwegs.“
Thea schreckte zusammen, öffnete die Augen und sah nur wenige Schritte von sich entfernt eine alte Frau mit dem Rücken zu ihr stehen, die irgendetwas an der Wand hantierte. Es konnte doch nicht RITA sein, dachte Thea. Wie hätte die KI sie denn unbemerkt überholen können? Konnte sie sich teleportieren? Sie näherte sich der Frau vorsichtig und fragte: „RITA?“
Die Person drehte sich langsam um. Es war nicht RITA. Thea blickte in das Gesicht einer anderen, wenn auch ähnlich arglos aussehenden alten Frau.
„Wer?“, fragte sie. In der Hand hielt sie eine Dose roter Sprühfarbe. Vor ihr an der Wand war ein frisches, noch nicht fertig ausgefülltes Herz über ein Hakenkreuz gesprüht.
„Na, ich kenn keine Rita. Ich bin die Irmela. Ich bin hier unterwegs um, na, hier, solche scheiß Nazischmierereien zu übersprühen.“
„Eine alte Antifaschistin“, sagte Thea schwärmerisch und ehrfürchtig. Dann wurde sie sich der gefährlichen Situation wieder bewusst. „Hören Sie“, warnte sie ihr Gegenüber, „das klingt sicher verrückt, aber in den Straßen ist eine alte Frau namens RITA unterwegs, die die Leute in Nazizombies verwandelt. Sie ist gefährlich. Sie sollten nach Hause gehen.“
Irmela blickte die junge Frau skeptisch an, sagte nach einigen Sekunden: „Na Mensch, das erklärt, warum hier heute ständig irgendwelche Hassparolen rumgebrüllt werden. Das ist aber was. Das hab ich so aber auch noch nicht erlebt. Mensch.“
„Ja und sie müssen jetzt wirklich heim, glauben Sie mir! Diese RITA. Sie redet mit den Leuten über ihre rechten Ansichten, und daraufhin verwandeln sich diese in aggressive Naziwesen. Es ist schrecklich, kommen Sie, wir müssen hier weg!“, mit diesen Worten drehte sich Thea um und stieß einen spitzen Schrei aus, als sie plötzlich RITA gegenüberstand. Die rot funkelnden Augen des Roboters schauten Irmela an, zeigte auf ihre Sprühdose und sagte zu Thea: „Jaja, Leute wie die da predigen Meinungsfreiheit, aber Meinungen die ihr nicht passen werden übersprüht.“
„Irmela, halten Sie sich die Ohren zu“, rief Thea entsetzt.
„Man darf in diesem Land ja bald gar nichts mehr sagen, dank linker Meinungsdiktatur“, sagte RITA.
Theas Körper kribbelte. Ihr wurde heiß. Ein tiefer Hass fing an, ihre Gedanken zu überlagern. Sie versuchte, sich dagegen zu wehren, was ihr stechende Kopfschmerzen bereitete. Sie fasste sich am Kopf und schrie. Durch die Anstrengungen beim Kampf gegen ihre Transformation hörte sie Irmelas Stimme: „Na reden Sie doch nicht so einen Unsinn, von wegen Meinungsdiktatur! Natürlich dürfen Sie sagen, was sie wollen, aber das heißt ja nicht, dass man da nicht widersprechen darf! Und ich werde Rassisten immer widersprechen!“
Theas Schmerz ließ nach. Von RITA hörte sie ein empörtes: „Das ist ja wohl … Man wird ja sofort als Rassist bezeichnet, nur weil einem das eigene Land und das eigene Volk so sehr am Herzen liegt, dass es einem im wehtut, diese Umvolkung erleben zu müssen“,
„Am Arsch, Umvolkung“, brüllte Irmela die KI an, „Was sie da reden ist dummes, menschenfeindliches Geschwätz von vorvorgestern. Das will doch keiner mehr hören!“,
„Poah“, rief RITA aus, man hörte leise etwas zerplatzen und das rote Licht in ihren Augen erlosch. Sofort war Thea das Kribbeln und die Schmerzen los.
„Ach, das bringt ja gar nichts, mit solchen Gutmenschen zu reden“, grummelte RITA, drehte sich um und verließ die Seitengasse.
Thea schaute ihr verwirrt hinterher. Aus der anderen Richtung der Straße kam Benny. Er war wieder er selbst. Irritiert kratzte er sich den Kopf und sah aus, als versuche er angestrengt, sich an die Geschehnisse der vergangenen Stunde zu erinnern. Als er Thea sah, lief er ihr freudig entgegen: „Thea, alle scheinen wieder sie selbst zu sein. Was hast du gemacht?“,
„das war sie“, sagte Thea und deutete auf Irmela, die sich, selbstbewusst die Hände in die Seite gestemmt, zu den beiden stellte, „Sie hat RITA einfach widersprochen. Das war alles. Ich glaube mehr war gar nicht nötig um ihren Nazombiefizierungsskill zu deaktivieren. Habt ihr RITA den noch nie widersprochen?“
„Naja, also, ich … Ich bin eben kein sehr konfliktliebender Mensch, okay? Und sie erinnert mich halt an meine Oma“, antwortete Benny, „Jetzt lass uns RITA einfangen und zurückbringen.“
„Das ist jetzt nicht mehr nötig, glaube ich. Sie ist keine Gefahr mehr.“,
„Und was wird dann jetzt aus ihr?“,
„Ach“, mischte sich Irmela noch einmal in das Gespräch ein, „so eine wie die? Die wird schon Anschluss finden, fürchte ich. Naja, aber wir sind mehr.“ Dann schüttelte sie ihre Farbspraydose und widmete sich wieder der Hakenkreuzschmiererei an der Wand.
– Ende –
Epilog:
Etwas später hatten sich alle Freunde der selbsternannten antifaschistischen Arbeitergruppe wieder in dem Haus von Bennys Eltern zusammengefunden. Angeregt tauschten sie sich über die sonderbaren Ereignisse der vergangenen Stunden aus.
„Es war echt unerträglich, diesen ganzen Hass mit anzusehen. Schrecklich.“,
„Ja, aber zumindest haben wir was dabei gelernt. Also dass wir vielleicht schon auch mal mehr den Mund aufmachen müssen, wenn jemand Scheiße labert. Auch wenn uns die Person eigentlich sympathisch ist.“,
„Ja genau. Schade nur, dass das nötig ist. Wieso sind manche Leute überhaupt so rassistisch?“,
„Ja, ich weiß auch nicht. Das ist echt hart. Ich persönlich nehme halt wirklich überhaupt keinen Unterschied zwischen verschiedenen Rassen wahr.“,
„Ja voll, ich auch nicht! Zum Glück konnte RITA aufgehalten werden, bevor was Schlimmes passiert ist!“,
„Stellt euch nur mal vor, alle wären so weltoffen und weit entwickelt wie wir. Dann gäbe es halt einfach keinen Rassismus.“,
„Oah ja, wie gut das wäre!“
„Boah, fickt euch einfach alle“, sagte Marvin, warf den Kühlakku und das rotverschmierte Handtuch auf den Tisch und ging nach Hause.
Quellen
Ein paar der Zitate stammen von (teils ehemaligen) AfD-Politikern:
1 „Das sind einfach nur Menschen, die sich dagegen wehren, dass hier messerstechende Migranten auf unseren Straßen rumlaufen“
Alice Weidel bei Anne Will über rechte Demoteilnehmer in Cottbus 2018
https://www.youtube.com/watch?v=2sZtZA_vqOo
2 „Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet!“
Markus Frohnmaier auf einer Demo in Erfurt auf dem Domplatz, 28.10.2018
https://www.youtube.com/watch?v=6znCu1VMr5Q (ab 4:33 min)
3 „das Pack zurück nach Afrika prügeln“
Dieter Görnert in einem Tweet 2016. Der ehem. zweite
Kreisvorsitzende der AfD in Nürnberg wurde wegen diesem und einem
weiteren Tweet aus der Partei ausgeschlossen.
https://correctiv.org/faktencheck/politik/2020/02/05/die-meisten-dieser-zitate-stammen-von-afd-politikern-einige-sind-aber-unbelegt
4 „Diese Kameltreiber sollen sich dahin scheren, wo sie hingehören, nämlich weit hinter den Bosporus, in ihre Lehmhütten.“
André Poggenburg beim politischen Aschermittwoch 2018
https://www.youtube.com/watch?v=qX4mqKZe8ts&feature=youtu.be&t=497&fbclid=IwAR2_Y7NaFPEzIZgIwgqkIn4jDi-FHwbCMOwvHiIPyRsSpmeicWP5lX8qV8I
(ab Min. 9:16)
Der Charakter der Irmela ist inspiriert von Irmela Mensah-Schramm. Eine engagierte, antifaschistische Aktivistin, geboren 1945.
https://www.youtube.com/watch?v=6BcPpyUYq6o
Der Charakter der RITA ist inspiriert, von einer im Nachhinein von uns so betitelten „Nazi-Oma“. Eine liebe Freundin und ich saßen ca. zwei Jahre vorm Verfassen dieser Geschichte im Außenbereich einer Kneipe, namens Tresor (ihr klugen Füchse werdet so langsam begreifen, wie der Name und die ursprüngliche Idee der Geschichte entstanden ist), als eine ältere Frau am Nebentisch lautstark anfing, über einen POC zu reden, der in der Straße gerade irgendetwas in seinen Kofferraum lud. Sie benutzte mehrmals das N-Wort und skandierte lautstark, dass es doch wohl angemessen sei, das Wort zu verwenden. Schließlich sei der junge Mann ja „eindeutig ein N****, der ist doch Pechschwarz, ist der doch!“.
Ich war sprachlos und starrte die Frau nur mit offenem Mund an. Dafür schäme ich mich inzwischen, denn ich hätte etwas sagen müssen. Dem Mann, der diese rassistische verbale Attacke ignoriert hat, hätte gezeigt werden müssen, dass nicht alle Anwesenden damit einverstanden sind. Aber ich war überrumpelt und wie immer zu konfliktscheu. Das soll keine Rechtfertigung sein. Mein Nichts-Tun, bzw. Nichts-Sagen war falsch und ich hoffe, sollte ich jemals wieder so etwas mitbekommen, werde ich angemessen reagieren.
Sogesehen sind die Charaktere der selbsternannten „Antisfaschisten“ inspiriert von mir.
Hier nun noch ein Lied:
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