Offenherzig
Feli wachte auf. Entgegen ihrer gutbegründeten Angst, zum letzten Male eingeschlafen zu sein, wachte sie auf. Noch war sie nicht in der Lage, diesem Moment zu würdigen. Benommen von der Narkose lag sie nur da und betrachtete ihre Umwelt mit seliger Freude. Was erst einfach ein Raum voller Licht und verschwommenen Umrissen war, klarte sich immer weiter auf, und bald waren es nicht mehr nur Sinneseindrücke, die in ihr Bewusstsein rauschten, sondern sie erkannte Formen, Farben, sie erinnerte sich, wer sie war, wo sie war und schließlich auch, wie wundervoll es war, dass sie war. Sie lebte. Sie hatte die OP überlebt. Tränen des Glücks liefen ihre Wange herab und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, während sie an die weiße Decke blickte.
Bald öffnete sich die Tür und hinein trat Dr. Eck. Ihr Herzchirurg. Ihr Lebensretter. Ihr Engel. Bescheiden die Hände hinterm Rücken haltend, trat er mit sanftem Lächeln an ihr Bett.
„Naa, Frau Reinemann, wie geht’s uns denn?“
„Dr. Eck – danke! Mir geht es – ich bin noch sehr müde, aber ich … Danke Dr. Eck, Sie …“,
„Nanaaa, machen Sie langsam Frau Reinemann, es ist jetzt sehr wichtig, dass Sie sich nicht zu sehr aufregen. Sie haben eine lange komplizierte Operation hinter sich.“
„ich rege mich nicht auf, Dr. Eck. Ich bin einfach glücklich und dankbar, dass ich dank Ihnen immer noch hier bin.“
„Jaja, das sind Sie, nicht wahr? Das ist ein sehr guter Gedanke, an dem Sie dringend festhalten sollten.“
Er hob eine seiner hinterm Rücken verschränkten Hände nach vorne und hob den Daumen in die Höhe, wobei etwas Rotes aus seiner Faust tropfte.
„Ehm, Dr. Eck, ist das Blut?“
Die Hand des Chirurgs schnellte wieder hinter den Rücken und peinlich berührt räusperte er sich:
„Ähm, ja nun, ähm, ja in der Tat, also …“
„Sind sie gerade noch mit einer anderen OP beschäftigt? Oder haben Sie sich verletzt?“,
„Nein, Nein, nichts dergleichen, sehen Sie, also, das ist, wenn man es mit etwas Abstand betrachtet eine recht lustige Geschichte …“
Feli sah ihn erwartungsvoll an, er wich ihrem Blick aus und rang sichtlich nach Worten.
„Nun, also die Sache ist die, dass, ähm …“, er drehte den Kopf und rief Richtung Tür: „Schwester Resi!“,
Das wütende Gesicht der Krankenpflegerin tauchte im Eingang auf: „Nein Dr. Eck! Ich habe es Ihnen gesagt. Diesmal erklären Sie das selbst!“, dann verschwand das Gesicht wieder.
Dr. Eck wandte sich wieder seiner Patientin zu und lachte verlegen: „Krankenschwestern, oder?“ Als ihm bewusst wurde, dass Feli nicht in das Lachen einsteigen würde, räusperte er sich erneut.
„Nun also Frau Reinemann, es ist so, wenn man wie ich, sehr viel Verantwortung trägt und Tag für Tag Leben rettet, dann bleibt es nicht aus, dass auch mal etwas nicht ganz nach Plan verläuft. Und ähm, also die Sache ist die …“ Er nahm seine Hände nach vorne und hielt in einer Hand einen pulsierenden blutigen Klumpen.
Feli setzte sich auf, ihr entfuhr ein kurzer Schrei und voller Entsetzen starrte sie das Etwas an.
„Ruhig Frau Reinemann, vergessen Sie nicht, was ich eben gesagt habe. Es ist wichtig, dass Sie sich nicht aufregen.“
„Was ist das?“,
„Ja nun, das ähm … ja das ist Ihr Herz Frau Reinemann.“
„Bitte was?“,
„Aber sehen Sie? Es schlägt noch. Toll, oder?“
„Wessen Herz ist dann in meiner Brust?“,
„Naja also das ist die Sache. Gar keins.“
Er ließ ihr kurz Zeit, etwas zu sagen, fuhr aber, als er feststellte, dass sie ihn nur mit offenem Mund anstarrte fort: „Also, bei uns ist für Herzoperationen, gerade bei solch kniffligen und kritischen, natürlich allerhöchste Präzision und Gründlichkeit die absolute Norm. Dazu gehört natürlich auch Händewaschen. Wir legen großen wert auf Hygiene. Also viele Kollegen in anderen Kliniken machen das vorab in einem extra Raum. Wir sind effizienter. Wir nutzen einen Raum für mehrere Dinge. Wir essen hier auch gemeinsam. Und zusätzlich können wir unseren Gewinn maxi... also ich meine es spart wertvolle Ressourcen, wenn wir statt des aggressiven und unangenehm riechenden Desinfektionsmitteln einfach feste Seife nehmen.
Nun, wie dem auch sei, dann war das eben so, ich habe ihr Herz herausoperiert, Schnippeldischnapp den bösen Tumor weggekratzt, wollte ihr hübsch gereinigtes Orgänchen dann wieder einstöpseln, als naja, also mein Handy – es war meine Exfrau, wissen Sie? Hat nicht aufgehört anzurufen, wollte irgendwas mit Zahlungen an ihre, also naja eigentlich unsere Kinder klären. Die Frau lässt sich einfach nicht abwimmeln. Ich also drangegangen, echt nervig …“
„OK, fassen Sie sich bitte kurz – habe ich Ihr Handy in meiner Brust?“
Dr. Eck lachte auf: „Haha, ein Handy statt eines Herzens, seinen Sie bitte nicht albern, Frau ähm, Dingens. Nein nein. Ich war wie gesagt abgelenkt und habe wohl beim Telefonieren an ihrem Herzen vorbei die Seife gegriffen. War auch Rot. Granatapfelduft – wirklich himmlisch. Für unsere Patienten eben nur das Beste. Aber wie dem auch sei, also ja. So war das. Habe das Ganze dann schön verkabelt, zugemacht und dann, als wir uns schon alle zu einem hervorragend gemeisterten Job gratuliert haben, da sehe ich ihr pochendes Herz in der Seifenschale, Mensch, sie können sich vorstellen, wie dumm ich da erstmal geguckt habe, hahaha“
Feli schlug sich die Hände an den Kopf, wobei ihr auffiel, dass der angenehm fruchtige Duft, der den Raum erfüllte, von ihrem Körper ausging.
„Also ja, ähm, es tut mir natürlich leid, wenn sie sich das alles ein wenig anders vorgestellt haben, Frau Reiners, aber ich kann Ihnen versichern, dass wir nun schon häufiger die Erfahrung machen durften, dass extern angeschlossene Herzen in Kombination mit einem internen Platzhalter, wie in Ihrem Fall der Seife, auch ganz hervorragend funktionieren.“
„Extern angeschlossen? Was meinen …“,
ehe sie die Frage fertig formulieren konnte, hatte Dr. Eck eine dicke vom Herzen herabhängende Vene gegriffen und mit einer geübten Bewegung in Felis linkes Nasenloch geschoben, zweidreimal in verschiedene Richtungen gedreht, bis es sich anfühlte, als würde etwas in ihrer Nebenhöhle einrasten.
„So, das war’s auch schon Frau Reinemeier. Das hier brauchen dann jetzt Sie“ und er drückte Feli ihr pochendes Herz in die Hand.
„Achten Sie darauf, dass sie es vor Staub und dergleichen, schützen. Außerdem vermeiden Sie bitte extremen Temperaturen, aber alles zwischen 19 und 25 °C sollte eigentlich kein Problem sein, außerdem …“,
„Wollen Sie mich eigentlich verarschen?“,
„Also ich darf doch bitten …“,
„Sie sagen mir jetzt allen Ernstes, dass ich den Rest meines Lebens mein Herz in der Hand herumtragen muss, während mein Inneres von Granatapfelkernseife durchgespült wird?“,
„Sehen Sie es mal so: Kaum ein Mensch hat so ein wohlduftendes und sauberes Inneres wie Sie Frau Reinheit, das kann ich Ihnen versichern. Und ja, das mit dem Herzen ist jetzt natürlich noch ungewohnt, aber sie werden sich daran gewöhnen. Und in ein paar Jahren lachen Sie über die ganze Geschichte. Naja, wobei – das mit den paar Jahren …“
„Was?“,
„Ja also mit Seife ist das eben so eine Sache. Die wird natürlich nicht unbedingt mehr, wenn sie 24/7 mit einer Flüssigkeit durchgespült wird. Und wenn die Seife aufgebraucht ist, dann … nunja …“ er legte seinen Kopf schräg, verdrehte die Augen, streckte die Zunge raus und imitierte ein sterbendes Röcheln.
„Das kann doch nicht ihr Ernst sein, was für ein Arzt sind Sie eigentlich?“
Dr. Eck rollte die Augen und verschränkte beleidigt die Arme: „Ähm, Hallo, ich hab mich entschuldigt?! Was soll ich denn noch machen?“
„Es rückgängig!“, rief Feli. Das Herz in ihrer Hand begann alarmierend schnell zu pulsieren, „schneiden Sie mich wieder auf, nehmen Sie die verdammte Seife raus und geben mir mein Herz zurück!“
„Ja uuuh, also terminlich schwierig, Frau Reinicke“,
„bitte?“,
„Ruhig, ruhig, ich lasse Sie auf die Warteliste setzen, ok?“, er drehte seinen Kopf wieder seitlich und rief zur Tür: „Schwester Reser, setzen Sie Frau Dingens hier auf die Warteliste?“
„Jo. Übernächstes Jahr könnte klappen.“
„Na das ist doch was, oder?“, strahlte er Feli an.
„Hab ich denn so viel Zeit?“,
„Na“, lachte der Chirurg, „Da fragen Sie aber den Richtigen. Ich kümmer mich nun wirklich nicht darum, wie lange Seifenvorräte halten. Also das wär’s ja. Nun, ähm, Schwester Reese, wie lang hält so ein Stück Seife?“
„Pff, joah, unterschiedlich. ’Nen Monat, manchmal zwei“
„uuuuh das ist jetzt natürlich nicht sehr lang …“, er lachte verlegen und wich Felis Blick aus, die ihm sprachlos anstarrte.
„Also, vielleicht haben Sie ja Glück und es wird zwischendurch mal was frei. Also damit es Sie beruhigt, mache ich mir hier eine Notiz, dass ich Ihnen gegebenenfalls Bescheid gebe.“ Er zog sein Handy aus der Tasche, tippte, den Blick lächelnd auf Feli gerichtet dreimal auf den Monitor und schob das Handy zurück in seine Tasche.
„So. Schon passiert. Nun ähm“, er räusperte sich und knuffte Felis Schulter. „Machen Sie das Beste draus. Sie werden schon noch erkennen, dass das Ganze auch etwas Gutes hat. Nämlich …“, er sah sich kurz um, schaute zur Tür und rief: „Was? Ja ich komme sofort Schwester Resi“, dann verschwand er und lies Feli allein.
Lange lag sie noch im Aufwachraum und starrte das beinahe vibrierende Organ in ihren Händen an. Nach einer Weile kam sie zu der Überzeugung, dass Dr. Eck mit seinem letzten Satz vielleicht ein wenig Recht hatte. Vielleicht musste sie das Gute sehen und das Ganze als Chance begreifen, so zu leben, wie sie es bislang immer vermieden hatte. Die Zerbrechlichkeit, die sie all die Jahre in ihrer Brust versteckt hielt, trug sie nun offen durch die Welt. Sie würde sich nun nur noch mit Menschen umgeben, denen sie vertrauen konnte. Sie würde gut acht auf sich selbst geben, Rücksicht auf sich selbst nehmen, Geduld mit sich selbst üben. Vielleicht war das nicht das Schlechteste. Sie würde der Welt beweisen, dass ein zartes Herz keine Schwäche, sondern ein Geschenk ist. Dieser Aufgabe würde sie den Rest ihres Lebens widmen. Dieser, und natürlich der, dafür zu sorgen, dem verschissenem Drecksgesicht von stinkendem Dr. Pfuschpisser von Eck jede Minute seines verfickten Lebens zur scheiß Hölle zu machen. Und dabei würde sie ganz ausgezeichnet duften.
Ende.
Entstanden für die 2. Ausgabe von „Deis und Ella lesen Dinge vor“. Thema: Wo andere ein menschliches Herz haben, hatte er ein Stück Seife. Und wo andere ihre Seife haben, hatte er ein menschliches Herz (oder so ähnlich)
#LesiDinge

Kommentare
Kommentar veröffentlichen