Gelleelelelelelele – ein glibberiges Vermächtnis
Gelleelelelelele
Ein glibberiges Vermächtnis
Die Erde. Ein nettes kleines Fleckchen Universum am Rande der „Milchstraße“. Einer gewöhnlichen Spiralgalaxie. Wie fast alle Planeten, auf denen das Entstehen von lebenden Organismen möglich ist, hat auch dieser blaue Planet im Laufe seiner Geschichte den verschiedensten Lebewesen Heimat geboten. Von simplen Lebensformen, die rein instinktgetrieben ihr Dasein fristeten, bishin zu solchen, die über ein breites Spektrum an Emotionen verfügten und sich über ihre Existenz, aber auch über die Endlichkeit des Lebens bewusst waren.
Soweit nichts Außergewöhnliches. Eben ein belebter Planet. Doch verdient es eine Spezies, dass man ihr besondere Aufmerksamkeit widmet. Eine Spezies, die sich deutlich von den anderen Lebensformen abhob, die die Erde im Laufe ihrer Existenz hervorgebracht hatte. Diese Wesen entwickelten schnell fortschrittliche Hochkulturen, komplexe Sprachen und lernten auch, über weite Entfernungen miteinander zu kommunizieren. Sie verfügten über ein hohes Maß an Neugier, Humor, Forschungsdrang und Selbstbewusstsein. Was sie aber wohl am deutlichsten auszeichnete, war das hohe Maß an Empathie. Dies machte sie zu geselligen, liebenden, hilfsbereiten Wesen, die ihr volles Potential besonders in der Gemeinschaft ausschöpfen konnten.
Es war die mit Abstand intelligenteste Lebensform der Erde. Auch wenn es viel später noch eine recht parasitäre Säugetierart gab, den sogenannten Menschen, der dies gerne für sich beanspruchte. Zu jenen mittelmäßig intelligenten Wesen, die durch ihre primitiven Überheblichkeit der Erde nachhaltigen Schaden zugefügt hatte, kommen wir später nochmal kurz zu sprechen.
Konzentrieren wollen wir uns lieber auf die kurze, schöne und doch tragische Historie der sogenannten Swoarls. Jene Swoarls, eine sich durch Mitose vermehrende, glibberige Lebensform, existierten in friedlichem Einklang mit anderen Wesen und ihrem Heimatplaneten. Sie haben sich im Laufe ihrer gesamten Existenz, die sich auf etwa 100.000 Jahre schätzen lässt, nie auf die Entwicklung komplizierter Technologie, oder auf das Erbauen großer Gebäude konzentriert, wie man das von vielen anderen intelligenten Lebensformen kennt. Dieser Umstand war aber mitnichten das Ergebnis dafür nicht ausreichender Intelligenz, sondern ließ sich viel mehr durch ihre geistige und körperliche Überlegenheit erklären denn diese ermöglichte es ihnen, mit einfacheren Mitteln existenzielle Hürden zu meistern. Ein ausgeprägter Forschungsdrang war zwar bei den Swoarls vorhanden, diesem konnten sie aber ohne das Errichten ganzer Forschungsinstitute, Labore, und ohne Durchführen aufwendiger Versuchsreihen nachgehen. Wissenschaftliche Forschung sah bei den Swoarls so aus, dass sie sich ins Gras legten und beim Blick in den Himmel kurz nachdachten, bis ihnen recht bald die Lösung auf ihre komplexen Thesen in den Sinn kam. Die Phase im Leben eines Swoarls, in der sie jene Forschung betrieben, nannte sich Pubertät, und in dieser Zeit, so ca. ein Jahr in der Regel, lernte ein jedes Swoarl im Großen und Ganzen alles. Was dazu führte, dass sie den Rest ihres Lebens recht ausgeglichen und tiefenentspannt verbrachten. Ein weiterer Grund für die simple Lebensart ohne Werkzeug oder langlebige Architekturen, war der tiefe Respekt gegenüber ihrem Heimatplaneten, der es ihnen verbot, Dinge zu erschaffen, die eben jene Umwelt in Mitleidenschaft ziehen würde. Sie nutzen ihre Fägikeiten stattdessen, um Flora und Fauna möglichst nachhaltig zu fördern und zu schützen.
Zur vergnüglichen Unterhaltung verfügten die Swoarls über eine vielseitige Kulturlandschaft. Sie spielten Theaterstücke, gaben Konzerte und erzählten sich Witze. Die humorbegabtetsten unter ihnen erreichten damit ein großes Publikum. Besonders beliebt waren Imitationen und Witze und über Lebensformen, die sich durch gegenseitige Befruchtung fortpflanzten. Jener Fortpflanzungsakt, war als solches schon ulkig genug. Und zudem animierte er diese Lebensformen zu den absurdesten Verhaltensweisen, die der Werbung eines potentiellen paarungswilligen Wesens dienten. Für die Swoarls ein herrlich lustiges Themenfeld. Ähnlich wie die Eigenheit anderer Lebewesen regelmäßig zu defäkieren oder flattulieren. Durch das kreative Abarbeiten dieser Thematiken waren die Swoarls nicht nur die intelligentesten, sondern auch mit großem Abstand die Wesen mit dem vollkommensten Humor der Erde, wenn nicht sogar des gesamten Universums.
Neben der Vorliebe für kulturelle Veranstaltungen war den Swoarls auch Ästethik wichtig. Ihre gallertartigen Körper konnten im Sonnenschein, je nach Lichteinfall, das gesamte Farbspektrum abdeckten. Wie sich das Licht auf ihren Körpern brach konnten sie durch ihre flexible Beschaffenheit selbst bestimmen. Sie passten ihre Oberflächenstruktur an, so dass nur jene Lichtwellen reflektiert wurden, die sie in ihrer persönlichen Lieblingsfarbe, sei es orange oder ultraviolett, erstrahlen ließen. Und auch unabhängig von der Farbgebung waren die Swoarls in ihrer Gestalt sehr flexibel. So konnten sie ihre Form an die individuellen optischen Vorlieben anpassen. Ob ein Swoarl also wie ein glibberiges aufrecht laufendes Wesen mit verschiedenen Gliedmaßen, oder doch wie ein glibberiger Wurm anmutete, lag ganz am persönlichen Geschmack, wobei diese Anpassungsfähigkeit auch oft praktischen Einsatz fand. So war einem Swoarl beispielsweise kein Durchgang zu schmal oder keine Höhlendecke zu niedrig.
Es gab einen weiteren positiver Aspekt dieser Formwandlung, der allerdings bedauerlicherweise nicht oft eintrat. Es passierte gelegentlich, dass ein Swoarl sich zu einer riskant extravaganten Form hinreißen ließ, die es letztlich reißen ließ. Wie bereits erwähnt pflanzten sich die Swoarls durch Zellteilung fort und jene gewagten Formänderungen führten gelegentlich zu solch einer Teilung. Wenn auch unbeabsichtigt. Dabei verblieb Bewusstsein und das Wissen in der größeren Hälfte, während sich die kleinere Hälfte, frisch, neugeboren, aber bereits mit einem hohen Maß an angeborener Intelligenz, gleich neugierig die Welt besah, ihrem Ursprungsswoarl höflich für die Schenkung der Existenz dankte, und sich auf die Suche nach einer gemütlichen Wiese begab, wo sich ihr Wissensdurst besonders komfortabel stillen ließe.
Selten verspürte ein Swoarl den persönlichen Antrieb sich zu spalten. Und da solche Formänderungsunfälle aufgrund der hohen Weisheit nur selten geschahen, nahm die Bevölkerungszahl der Swoarls bedauerlicherweise stetig ab. Doch war es nicht der Fortpflanzungsunwille, der dieses wundervolle Volk letztlich aussterben ließ.
So klug und körperlich flexibel die Swoarls auch waren, so empfindlich und fragil waren ihre Gallertköper leider auch. So war es also unumgänglich, dass eine bevorstehende leichte Klimaveränderung, die sie natürlich alle bereits durch korrekte Berechnungen vorhergesehen hatten, ihre glänzenden Körper verdunsten lassen würden. Sie hatten Generationen Zeit, sich auf dieses Ereignis vorzubereiten. Selbstverständlich taten sie nichts, um dieses durch eine unvernünftige Lebensart massiv zu verstärken und zu beschleunigen. Aber das sollte ja klar sein. Genaugenommen, wieso spreche ich diesen Punkt überhaupt an? Als ob ein Swoarl so dumm wäre.
Wie dem auch sei, die Gewissheit, dass die gesamte Spezies enden würde, löste bei der letzten Generation eine große kollektive Trauer aus. Und das, worauf man immer stolz war, nämlich das bescheidene Existieren ohne Spuren zu hinterlassen, begann man, je näher es auf das Ende zuging, ein wenig zu bereuen. Nichts würde von ihnen bleiben. Ihre schimmernden Glibberkörper würden restlos verdunsten und sie hatten nichts erschaffen, was später entstehenden intelligenten Wesen einen Hinweis auf ihre Existenz geben könnte. Es gab zu diesem Zeitpunkt nur noch wenige Swoarls. Von der einstmals auf etwa 500 Mio schätzbaren Weltbevölkerung, waren nun noch etwa 100.000 verblieben. Sie waren auf dem gesamten Erdball verteilt, doch einigten sich durch ihre Fähigkeit telepathisch miteinander zu kommunizieren, dass man das Ende doch gerne gemeinsam verbringen würde. So sammelten sich all die übrigen Swoarls an einem Ort, an dem man die minimale Temperatursteigerung noch gut ertragen konnte. Man unterhielt sich darüber, wie man vielleicht doch noch etwas tun wollte, was späterem Leben die eigene Historie übermitteln könnte. Doch schämte man sich auch ein wenig für diese neuentdeckte Geltungssucht, die der gesamten Spezies bisher noch fremd war. Man unternahm vorerst nur Kleinigkeiten, die keinen wirklichen Aufklärungsansatz verfolgten, sondern lediglich als lustig angesehen wurden. Man erlaubte sich, Megalithen herzuschaffen, und diese in einer gewissen Gegend kreisförmig anzuordnen. Anschließend beäumelte man sich bei der Vorstellung, wie folgende Wesen sich den Kopf darüber zerbrechen würden, was zum Teufel das sein könnte. Wie bereits erwähnt. Die Swoarls hatten von allen Lebewesen den makellosesten und fantastischsten Sinn für Humor.
Trotzdem einigten sie sich darauf, dass sie auch einen ernsthaften Ansatz nachgehen wollten, der Nachwelt etwas zu hinterlassen. Sie forschten einige Sekunden an einer Möglichkeit, ihre Zellteilung gemeinsam zu nutzen, um ein Speichermedium zu erschaffen, das Äonen überdauern würde. Gefüllt mit sämtlichen Informationen über ihre Art und ihrer Geschichte.
All die verbliebenen Swoarls sammelten sich an einem Tag, an dem die minimale, aber nichtsdestotrotz tödliche Klimaveränderung weit vorangeschritten war. Sie verbanden sich in einer innigen Umarmung. Konzentrierten sich darauf ihre Zellteilung auf ein Art zu nutzen, die dazu führte, kein neues Swoarl mit eigenem Bewusstsein zu schaffen, sondern den Kern des eigenen Bewusstseits, des Wissens, des Wesens konzentriert zusammezufügen. Jedes Swoarl leistete seinen Beitrag und so schufen sie in der Mitte ihres Kreises eine winzige Skulptur, aus ihrem Glibber. Es war für alle ein höchst extatischer Vorgang, der bei der Entstehung jener Skulptur in einem nieerlebten Hochgefühl gipfelte. Kurz fragten sie sich, ob sie nicht jene Fortpflanzungsakte anderer Lebewesen, zu Unrecht verspottet hatten, doch kamen sie schnell zu dem Schluss, dass die sonderbaren Blicke und Töne es trotzdem verdient hatten, darüber herzlich zu lachen.
Vielmehr empfanden sie aber Stolz und Glückseligkeit ob ihres erschaffenen Nachlasses. Sie vergruben das golden schimmernde Speichermedium und blickten still und hoffnungsvoll an den Ort, wo es nun verborgen lag. Niemand von ihnen wusste, ob es je von einem intelligenten Wesen gefunden werden würde. Sollte es gefunden werden, so müsste man es nur lange genug betrachten, 4 Sekunden vielleicht, damit das Wissen um ihre Existenz in einen eindringen würde. Es war eine wundervolle Chance. Die Swoarls lächelten. Und erschöpft von diesem bedeutsamen Akt, fanden sie allesamt an Ort und Stelle ihr friedvolles Ende und waren alsbald restlos verdunstet. Und dies war das tragische, doch auch schöne Ende der Swoarls.
Sie erfuhren nie, ob ihr Plan funktioniert hatte. Ob ihr Nachlass jemals gefunden wurde.
Wurde er.
Es war an einem lauen Sommertag. Als ein Vertreter der anfangs erwähnten, mittelintelligenten Menschen, namens Hans einen Spaziergang durch den Wald machte. Dort erblickte er etwas golden tranzparentes Schönes zwischen Laub und Walderde. Er beugte sich herab, hob das Swoarl Vermächtnis auf und hielt es vor seine Augen. Er betrachtete es ehrfürchtig. Neugierig. Wie hypnotisiert.
Eine Sekunde. Es erfüllte ihn mit Freude und Erregung.
Zwei Sekunden. Er fühlte sich selbst mit einem Mal klein und unbedeutend.
Drei Sekunden. Er zuckte mit den Schultern, steckte das gallertartige Objekt in den Mund, zerkaute es und schluckte es herunter.
„BAH schmeckt scheiße“, rief Hans Riegel, „aber da lässt sich eventuell was draus machen …“.
Ende.
Entstanden bei der 9. Ausgabe von „Deis und Ella lesen Dinge vor“. Thema: Nachlass.
Vielen Dank an Mueslifix und Friedemusic aus dem Twitchchat (bzw von Bluesky und dieser anderen komischen Kurznachrichten-Social-Media-Seite, Y oder so ähnlich), die sich den wundervollen Titel für mich überlegt haben
Kommentare
Kommentar veröffentlichen