Des Kaisers alte Scheiße

 

Es lebte einst ein Kaiser, der liebte sein Volk über alle Maßen. Pardon, sagte ich „sein Volk“? Verzeiht mir diesen Irrtum, ich meinte „sich“. Er liebte sich. Über alle Maßen. Er konnte vom Anblick seines eigenen Spiegelbildes nicht genug bekommen. Auch der Klang der eigenen Stimme verzückte ihn und nichts fühlte sich besser an, als die eigene Hand am eigenen Körper. Er ließ keine Gelegenheit verstreichen, sein Volk daran zu erinnern, was für ein Glück es doch hatte, ihn ihr Oberhaupt nennen zu können. Dass sie sich auf seine Unfehlbarkeit stets verlassen könnten. Und viele seines Volkes glaubten ihm und waren ehrlich erleichtert, sämtliche Zweifel und eigenes Denken abgeben zu können. Und jene im Volk, die an der Unfehlbarkeit zweifelten, schalt man Lügner, Schwarzmaler und Schlimmeres. Und so lebte es sich, vielleicht nicht gut, aber es lebte sich im Land. Der Kaiser war glücklich. Fast. Je länger er seine Überlegenheit betrachtete, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, dass sich diese nicht ausreichend nach außen präsentierte. Natürlich – er lebte, wie sich das für einen Kaiser gehörte, bereits in einem gewissen Überfluss, aber wenn er das einfache Volk betrachtete, so schien ihm die Kluft derer, und seiner Lebensumstände bei weitem nicht ausreichend groß.
In jener Phase der aufflammenden Unzufriedenheit kam ein Mann zum Hofe, der seine beratende und ausführende Dienste in dieser Sache anbot. Er sei Schneider. Und Innenarchitekt. Und Stylist. Und Koch. Und Lebensberater. Und in alledem der Beste. Das überzeugte den Kaiser nicht. Der Mann versicherte, dass es die unerreichte Brillanz des Kaisers war, die ihn dazu angespornt hatte, im Leben so viele Dinge zur absoluten Perfektion zu erlernen, um irgendwann ihm, dem Kaiser den Reichtum bescheren zu können, den er verdiente. Das überzeugte den Kaiser.
Tatsächlich war der Schmeichler nichts von alledem. Er war lediglich ein Mann, der sich darauf verstand, Menschen zu verstehen. Durch geschickte Rhetorik ihr Vertrauen zu gewinnen, ihre Sehnsüchte zu erfüllen oder Sehnsüchte zu wecken, wo vielleicht noch gar keine waren. Man könnte ihn einen geschickten Geschäftsmann nennen. Man könnte ihn einen Betrüger nennen. Eines aber war er mit Sicherheit: ein Betrüger. Ja. Eindeutig ein Betrüger.
„Ich verfüge über das edelste Material, mein Kaiser.“, so trug er sein Angebot vor,  „Wertvoller als Diamanten, Gold und dererlei. Aus diesem Material möchte ich euch Gewand, Krone und Thron anfertigen. Dies wird eure Herrlichkeit widerspiegeln. Nur hat es eine ganz besondere Bewandtnis …“,
„Wie nennt es sich, das Zeug von dem er da schwafelt?“, wollte der Kaiser wissen,
„Es ist … Gnudhuk. Ich bin sicher, eure Hoheit, belesen und weise, wie ihr seid, habt davon gehört“,

„Na selbstverständlich, ich weiß alles über Gundhunk. Niemand weiß so viel darüber wie ich. Aber erkläre er trotzdem noch einmal, für mein weniger begnadetes Gefolge, von der besonderen Bewandtnis, die ihr erwähntet.“
„Nun, eure Hoheit, seht ihr, die Schönheit von Gnudhuk ist lediglich für jene erkennbar, die seiner würdig sind. Die Dummen, aber, die undankbaren und unwürdigen, für jene wird der Anblick, der Geruch und auch das Betasten, nun … Es wird für sie die Anmutung von Scheiße haben.“
„Scheiße?“, polterte es aus dem Kaiser heraus, und versöhnlicher fügte er an: „Ich wusste das. Doch wenn mein Volk, das sich nun einmal im Vergleich zu mir, durch außerordentliche Dummheit und Unwürdigkeit auszeichnet, mich in Scheiße gekleidet vorfindet, ja wie kann ich dann mit dem Gunduk-Zeug meine Überlegenheit verkörpern?“
„Ein Volk, das bereits so lange von euch regiert wird, mein Kaiser, glaubt ihr nicht, jenes wird würdig genug sein, Gnudhuk in all seiner Schönheit zu erkennen?“
„Natürlich wird es das. Es ist das beste Volk, das es jemals gab. Ihr habt den Auftrag!“
Und so machte sich des Kaisers neuer Berater, Stylist, Innenarchitekt und Hofschneider gleich ans Werk. Er ließ die Schatzkammern des Kaisers mit vielen Wagenladungen seines geheimnisvollen Gnudhuks füllen, das man von seinem abgelegenen Waldanwesen herankarrte, in dem nur er mit ein paar besonders gefräßigen dicken Rindern lebte. Gnudhuk gab es in fester, flüssiger und weicher Beschaffenheit. Der Kaiser und sein treustes Gefolge beobachteten das Schaffen genauestens. Wie da Thron, Speisetafeln und Betten durch trockenes Gnudhuk ersetzt wurden. Wie des Kaisers Gewänder in der wertvollen Flüssigkeit veredelt wurden. Wie man ganze Wände mit dem Reichtum strich, oder andere Wände zumindest besprenkelte. Und nicht eine Sekunde zweifelte der Kaiser an der eigenen Brillanz und Würde. Denn das braune, schmierende, zum Teil tropfende Mineral, das diesen beißenden Gesta- … dieses einzigartige Aroma verströmte … All dies war, so war es des Kaisers Überzeugung, selbstverständlich so weit entfernt von Scheiße, wie etwas nur sein kann. Es war eindeutig das exakte Gegenteil. Sein Gefolge stimmte seinem Urteil eifrig zu.

Und so kam der Tag, an dem es an der Zeit war, dem Volke, dem man bereits von jenem kostbaren Material, und seiner Anmutungen für die Würdigen sowie Unwürdigen berichtet hatte, dieses zu präsentieren. Alle hatten sich im Ortskern versammelt, um der kaiserlichen Huldigungsprozession beizuwohnen. Und endlich – die Kutsche fuhr an, der braune Teppich wurde aufgeschüttet. Und der Kaiser schritt durch die Menge. Nur wenig Textil umhüllte seinen Leib, man hatte sich entschieden, Gnudhuk in seiner breiigsten Reinheit direkt als Kleidung aufzutragen. Das Volk beobachtete seinen Monarchen mit teils offenen, teils vorsorglich besonders fest geschlossenen Mündern.
Zögerlich fingen einige an zu applaudieren. Zu nicken. In gewohnter Ehrerbietung niederzuknien. „Wunderschön!“, rief einer, „das kostbarste, das meine Augen je erblicken durften“, rief eine andere, „welch ungewöhnlicher, aber ganz wunderbarer Geruch“, ertönte eine weitere Stimme.
Ein Knabe in der ersten Reihe rief:
„Aber das ist doch sch…“
„Schhh“, fuhr der Vater des Kindes es an.
„SCHEISSE! Das ist Scheiße!“, vervollständigte jemand den Zwischenruf. Es war kein Kind, das da so unbedacht zwischenrief. Es war ein Gelehrter. Einige seiner Kolleginnen und Kollegen pflichteten ihm bei. „Eindeutig. Scheiße.“
Immer mehr Menschen schlossen sich den Einsprüchen an, wichen zurück, hielten sich die Nase zu und schüttelten die Köpfe.
Die Kaisertreuen jedoch, vielleicht fähig, aber nicht willig, den Schwindel zu erkennen, beharrten auf die Großartigkeit und Brillanz des Gnudhuks. Der Kaiser, der, wenngleich er sehr investiert in den eigenen Liebreiz war, den Tumult vernahm, sprach zum Volke: „Hier zeigt es sich nun also, wer klug und wertvoll genug ist, um meinen Glanz und die Schönheit von Gunkhund zu erkennen. Seid stolz, seid stolz. Und ich möchte ein kluges Volk. Ein reines Volk. So sollten wir wohl bedenken, wie mit jenen umzugehen ist, die zu dämlich sind, um Hukgund wertschätzen zu können …“
Und so fiel nun noch mehr Menschen im Volk, die sich wohl eben versehen hatten, die Schönheit auf, die sich ihnen darbot. Und bald vernahm man auf dem ganzen Platz laute Jubelchöre, die die letzten Zweifler übertönten.
Gerührt von der Weisheit seiner Gefolgschaft, beschloss der Kaiser in seiner grenzenlosen Güte, seinen Reichtum, zumindest etwas davon, mit dem Volk zu teilen. Er besprach sich mit seinem Gnudhuk-Berater und -Lieferant, der zusagte, dass man, zumindest etwas von dem trockenen, weniger kostbaren, und dem breiigen schon etwas kostbareren Gnudhuk-Beständen ruhig an das Volk verteilen konnte. Auf dass das ganze Gebiet bald im Reichtum glänzte. Er versicherte dem Kaiser, dass er stets für Nachschub sorgen könne. Gegen weitere Ausbauten seines Anwesens, ein paar weiteren Untergebenen, und gewissen auserwählten Kostbarkeiten abgesehen von Gnudhuk – davon habe er ja bereits genug.
Und so brachte der Kaiser Gnudhuk ins Volk.
Die Zeit verging, der Wohlstand war im Volke angekommen. Zumindest das, was man dafür hielt. So wie viele Gelehrte und darüber hinaus auch eine ganze Menge andere Menschen begriffen hatten, handelte es sich um Scheiße. So möchte ich mich korrigieren. Die Scheiße. Die Scheiße war im Volke angekommen. Die Menschen schufteten mehr als je zuvor, denn nun ließen sie ihre Arbeit mit Dublonen aus getrockneter und zusammengepresster Scheiße entlohnen. Sie liebten die Scheiße und gelangten schnell der Überzeugung, dass all jene, die besonders viel Scheiße besaßen, auch besonders wertvoll für das Wohle der gesamten Gesellschaft waren. Es gab auch jene Menschen, die wollten mit der Scheiße am liebsten gar nichts zu tun haben, doch bald war die Scheiße ein solch selbstverständlicher Bestandteil des Lebens geworden, dass man, um am gesellschaftlichen Treiben teilhaben zu können, schon über wenigstens eine gewisse Menge an Scheiße verfügen sollte. Also musste jeder seine Scheiße verdienen. Ob man dies nun wollte oder nicht.
Im Laufe der Zeit litten immer mehr Menschen an den verschiedensten Krankheiten. Sie alle fanden eine Erklärung dafür. Einige Menschen, darunter Wissenschaftlerinnen oder Mediziner befanden, diese Krankheiten seien darauf zurückzuführen, dass die Menschen in Scheiße lebten. Dass sie Scheiße huldigten, sich in Scheiße kleideten, Scheiße verzehrten und immer mehr schufteten, um noch mehr Scheiße zu erhalten. Einige andere Menschen befanden, dass die Krankheiten wohl das mitgebrachte Übel derjenigen sein mussten, die von außerhalb kamen. Oder von jenen Scheißekritikerinnen und Scheißekritikern gezielt eingesetzt wurden, um das Volk um seinen verdienten Reichtum, bestehend aus Scheiße zu bringen. Sie kamen zu dem Schluss, dass sie mehr Scheiße bräuchten und bestenfalls dafür sorgen mussten, dass die Verantwortlichen für ihr Unwohlsein möglichst wenig Scheiße bekämen. Jene, die besonders viel Scheiße hatten, sorgten sich um dessen Bestand und achteten penibel darauf, dass sie nur wenig Scheiße jenen zu Verfügung stellten, die in ihrem Dienst standen. So konnten sie im Laufe der Zeit immer mehr Scheiße anhäufen, was sie gelegentlich, in Momenten des zu-Ruhe-kommens, betrachteten und sich selbst für die harte Arbeit des Scheiße-nicht-Anderen-gebens, mit noch mehr Scheiße belohnten.
Es lebte sich im Land. Der Kaiser selbst, schalt sich ein wenig für seine vorauseilende Großzügigkeit, die Scheiße mit dem Volke zu teilen. Denn es war harte Arbeit, stets dafür sorgen zu lassen, dass sein Berater (und weiteres) immer mehr Scheiße produzierte. Damit, neben der dem Volke zur Verfügung stehenden Scheiße auch verhältnismäßig mehr Scheiße seinem eigenen Haushalte zugutekam. Es funktionierte. Einigermaßen. Eine Weile lang.
Bis sein schneidernder Scheiße-Mann eines Tages wie üblich am Hofe erschien und in des Kaisers Ankleidezimmer im Turm empfangen wurde. Nur zitterte sein Leib an diesem Tag und er schien blass und elend.
„Da seid ihr ja endlich“, grüßte ihn der Kaiser, der weder Zeit noch Interesse hatte, sich mit den Belangen seines Beraters zu beschäftigen, „Er möge dringend die nächste Fuhre Kungduh liefern. Es scheint, als waschen sich die alten Bestände ab. Wundervoll ist es. Aber nicht sonderlich langlebig.“
„Es wird keine weiteren Lieferungen mehr geben, mein Kaiser. Meine Rinder. Sie sind tot. Dahingerafft von Plackerei und Seuche.“,
„Die Seuche. Oh diese verfluchten Eingewanderten. Ihr bekommt neue Rinder. Und überhaupt, was hat das mit dem Gungduhk zu tun?“
„Neue Rinder. Nein. Nie wieder wird es Rinder, wie diese geben. So viel scheißt kein Rind der Welt. Es wird kein Gnudhuk mehr geben. Die Vorräte sind leer. Es werden keine nach kommen. Es gibt nichts mehr.“
„Ich verstehe nun noch immer nicht, was eure Rinder mit …“, wollte der Kaiser nachhaken, da war der blasse Schneider schon an ihm vorbei ans offene Fenster getreten und in die Tiefe gesprungen.
Zurück blieb ein sprachloser Kaiser.
In einem seltenen Moment der Klarheit blickte er in den Spiegel und zweifelte an seiner gottgegebenen Überlegenheit. Er sah einen gealterten Mann, von Krankheiten gezeichnet, die einen heimfallen, wenn man, wie er, in Scheiße einge­rieben sein Dasein fristet. Und selbst seine Scheiße, sein geliebtes Kuhdung würde ihm nun ausgehen. Und mit ihm auch die Liebe und das Vertrauen seines Volkes, das er so schändlichst …
Nein. Er lachte. Er schüttelte sich. Ein kleiner Moment der Verwirrung. Er zwinkerte dem wunderschönen und unfehl­baren Kerl im Spiegel zu. Was auch immer nun folgen würde. Er würde es mühelos meistern. Natürlich würde man ihn weiterhin lieben und folgen. Er war der Kaiser. Nichts würde ihm geschehen. Nichts Schlimmes würde ihm und seinem Reich zustoßen. Nichts war größer als er. Alles würde gut werden. Als würde dank ihm bestimmt immer gut werden. 



Entstanden für die 18. Ausgabe von „Deis und Ella lesen Dinge vor“ #LesiDinge

Thema: Schmutz

auf twitch.tv/hirnbraten könnt ihr euch noch ein Weilchen das VOD anschauen


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