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Der Beobachter

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Es hatte sich etwas verändert. Die Welt. Vor einigen Stunden hat sie noch Sinn ergeben. Aber jetzt? Marlas Tag hatte ganz normal begonnen. Beinahe. Da war nur dieses … Gefühl. Aber nein, das war nichts. Wohl nur ein Unbehagen, das sie aus einem Traum mitgebracht hatte, an den sie sich bereits nicht mehr erinnern konnte. Nein. Es war ein normaler Morgen. Aufgestanden. Geduscht. Angezogen. Make up aufgelegt. Beim Frühstück haben Theo und sie sich darauf geeinigt, dass sie Lachsgratin zu Abend essen würden. Sie würde nach der Arbeit den Guten in der Markthalle besorgen. Nach der Arbeit. Ein Abschiedskuss. Der kurzfristige Entschluss, das Fahrrad stehen zu lassen und zu Fuß ins Büro zu gehen. Denn sie war früh dran, hatte Zeit und wollte das Wetter genießen. Das Wetter. Es war doch sonnig. Warm. Angenehm. Normal. Alles normal. Beinahe. Nur dieses Kribbeln im Nacken. Der Arbeitstag. Nicht stressig, nicht langweilig. Angenehmes Arbeitspensum. Keine Dramen, harmlose Lästereien in der Kaffeekü

Ein Kuss für Tante Monsternase

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Ein Kuss für Tante Monsternase Verwandschaftsbesuch bei Bente. Die ganze Woche schon und noch bis morgen. Die Oma ist da. Und Onkel Kalli ist auch da. Mit Thea. Die wohnt schon seit letztem Jahr bei Onkel Kalli und nächstes Jahr werden die beiden heiraten. Bente mag es, wenn Trubel im Haus ist. Oma hat Bente die letzten Tage ganz viel vorgelesen und sie haben gemeinsam Puzzles gelöst. Onkel Kalli hat Bente ganz viele Witze beigebracht und Thea hat mit Bente ganz viel fangen und verstecken gespielt. Schade, dass morgen alle schon wieder nach Hause fahren. Aber Bentes Papa hat versprochen, dass sie ganz bald auch mal mit Oma zusammen Kalli und Thea besuchen fahren. Das freut Bente. Am Nachmittag stehen Mama und Papa und Kalli und Thea zusammen und reden komisches langweiliges Zeug und sehen aber dabei, das wundert Bente immer, gar nicht so aus, als würden sie sich langweilen. Sie gucken sogar so, als würde es ihnen Spaß machen. „Blablabla Wertanlage“, sagen die, und „Blablabla Vorsorgeun

Ersthelfen Extreme

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    Ersthelfen Extreme „… und was wäre in dieser Situation das Schlechteste, was man machen kann?“ „Gar nichts!“ „Soooo!“ Beate nickte und klatschte zweimal in die Hände, um die Teilnehmenden ihres Erste-Hilfe-Kurses für diese korrekte Chor-Antwort, zu belohnen. Wie jedes Mal hatte sie das auch diesem Kurs in den letzten drei Stunden mantrahaft eingetrichtert. Die Teilnehmenden belohnten sich ebenfalls. Mit Fiepsen, Nicken und teilweise überdeutlichem Augenrollen, das bei Sitznachbar*innen keinen Zweifel übrig lassen sollte, dass einem das sowieso schon von Anfang an und überhaupt schon seit immer klar gewesen ist. Letztere waren für Beate immer die anstrengendsten Leute. Diese „Ich habe schon einmal 110 gewählt, ich kenn mich bestens aus und könnte diesen Kurs theoretisch selbst leiten!“-Fraktion. Da waren ihr sogar die „Ich will meinen Führerschein und brauch den Wisch dafür und sitze deswegen meine Zeit hier ab“-Leute tausendmal lieber. Also, vermutlich würden die das nicht so formu

Die goldene Blutwurst

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  Die goldene Blutwurst Erster Akt – Planung „In Bonn gibt es ganz vorzüglichen Tee.“, „Den Besten servieren sie im Sudhaus.“ Alles klar. Sie, Deckname Älla Filck hatte sich allen Anschein nach auf der richtigen Parkbank niedergelassen. Ihr Kollege Eckfluss hatte den Kontakt zu dem Dritten im Bunde hergestellt und für diesen Tag Uhrzeit und Treffpunkt ausgemacht, damit auch Älla nun denjenigen kennenlernte, der das Trio für den Coup komplettieren würde. Eckfluss hatte auch den Tee-Sudhaus-Code ausgemacht, durch den sich sie und der neuen Kollege erkennen würden. Doch ob diese Chiffre wirklich nötig war? Denn FIlck hatte bereits eine recht sichere Ahnung, dass es sich bei dem Mann mit dem langen schwarzen Trenchcoat und der Sonnenbrille, der sehr offensichtlich über den Rand seiner Zeitung in die Ferne blickte, eventuell um den Neuen handeln könnte. Zu erwähnen wäre noch, dass er die Zeitung falsch herum in den Händen hielt, und die Headline des Hauptartikels „Lorem Ipsum“ lautete. „Wir

Ilse Wobbel

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Da stand Ilse nun also in einem sterilen Wartebereich, wie sie schon etliche zuvor gesehen hatte. Ein Traum aus Weiß, Grau und Beige. In der Hand hielt sie ein Zettelchen. Darauf zu lesen, die Nummer 109.253.147.378. Auf einem Monitor über einer Tür blinkte die Nummer 109.253.147.347 auf. Das ging ja. Die teils schon recht abgenutzten Polstersitze waren allesamt besetzt. Mit Menschen, an deren Gesichtern man ablesen konnte, wie lange sie hier wohl schon warteten. Während Neuankömmlinge wie Ilse noch dieses halb verängstigte, halb freudig erwartende Leuchten in den Augen hatten, konnte man, wenn man durch die Reihen blickte, immer mehr Gähnen, Stirnrunzeln bis hin zu totem Geradeausstarren beobachten. Ein kleiner Brunnen pumpte einen modrig duftenden Wasserstrahl in grobkörniges Tongranulat, ein Kaffeeautomat zischte und röchelte, und es lief eine sanfte Loungemusik, die gerade so dezent war, dass ein Ohrwurm oder irgendeine Emotion dazu nahezu ausgeschlossen war. Ab und zu unterhielten

Kein richtiger Junge

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    Denis (findet ihr unter dem handle @hirnbraten auf den üblichen Social Mediakanälen (behaupte ich mal)) und ich hatten am 29.10.2023 die zehnte Ausgabe unseres Geschichten-Vorlesestreams. Welch glückliche Fügung, dass die Jubiläumsausgabe ausgerechnet auf den Gruselmonat fiel. Also das naheliegende Thema: Grusel hoch 10 twitch.tv/hirnbraten Ersteinmal, hier ein kleines Introvideo, das ich für den Stream gebastelt habe: Und hier nun – meine Geschichte: Kein richtiger Junge Regungslos, die Gliedmaßen verdreht, lag er auf der hölzernen Tischplatte und starrte auf die Stelle am Boden, wo er lag. Seit Tagen. Ohne zu blinzeln. Musste er auch nicht, denn seine Augen benötigten keine Feuchtigkeit, um dauerhaft zu funktionieren. Trotzdem hätte er gerne Tränen gehabt. Er vermutete, das hätte ihm helfen können, aber sei es drum. Nur noch eine weitere Sache, die ihm verwehrt blieb. Nichts weiter. Der Duft von Sägemehl wurde mit jeder vergangenen Stunde stärker von beißendem Verwesungsgeruch üb

Gelleelelelelelele – ein glibberiges Vermächtnis

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 Gelleelelelelele Ein glibberiges Vermächtnis  Die Erde. Ein nettes kleines Fleckchen Universum am Rande der „Milchstraße“. Einer gewöhnlichen Spiralgalaxie. Wie fast alle Planeten, auf denen das Entstehen von lebenden Organismen möglich ist, hat auch dieser blaue Planet im Laufe seiner Geschichte den verschiedensten Lebewesen Heimat geboten. Von simplen Lebensformen, die rein instinktgetrieben ihr Dasein fristeten, bishin zu solchen, die über ein breites Spektrum an Emotionen verfügten und sich über ihre Existenz, aber auch über die Endlichkeit des Lebens bewusst waren.  Soweit nichts Außergewöhnliches. Eben ein belebter Planet. Doch verdient es eine Spezies, dass man ihr besondere Aufmerksamkeit widmet. Eine Spezies, die sich deutlich von den anderen Lebensformen abhob, die die Erde im Laufe ihrer Existenz hervorgebracht hatte. Diese Wesen entwickelten schnell fortschrittliche Hochkulturen, komplexe Sprachen und lernten auch, über weite Entfernungen miteinander zu kommunizieren. Sie

Vom treuen, leicht scheuen, stets freundlichen Eumelchen

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  Dies ist die traurige Geschichte des stets freundlichen Eumelchens. Nebst aufbrausenden lauten und rauen Rabauken wirkte er immer eher erträglich. Dies kam nicht von ungefähr, so hatten seine ihn zwar liebenden doch sehr gläubigen, ihn streng beäugenden Erzeuger ihn immerzu maßgeregelt. Es galt von klein auf gefällig, bloß nicht wütend oder sonst wie auffällig, nicht grummelig oder gar gemein zu sein. Wenn es Kind-Eumelchen einmal nicht gelang, jenen Anforderungen zu entsprechen, wussten seine Erzeuger ihn, zwar nicht mit Wut, jedoch mit Enttäuschung, zu brechen. Das Kind lernte, dass wenn immer schlechte Stimmung das Umfeld prägte, dies wohl auf sein unangenehmes Verhalten zurückzuführen war. Und um dies zu vermeiden, um den Menschen zu dienen und dem Familienbild nicht zu schaden, hatte er bald gelernt, seine Tugendhaft zu akzeptieren und sich in ihr als angenehmes Wesen, das niemanden je störte, seinen Platz in der Gesellschaft zu sichern. Mit Erfolg. Als erwachsener Eumel wurde s